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Ich war Hitlerjunge Salomon

Ich war Hitlerjunge Salomon

Titel: Ich war Hitlerjunge Salomon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sally Perel
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Umgebung
    taten ihre Wirkung, und ich war bald wieder bei der Sache.
    Im Unterricht wurde uns weiterhin die ruhmvolle Verän-
    derung der Welt gepriesen, die wir im Begriff waren, herbei-
    zuführen. Selbst die Errichtung eines Denkmals mit einer
    Tafel, auf der die ersten, an der Front gefallenen ehemaligen
    Internatsschüler geehrt wurden, konnte diese Geisteshaltung
    nicht beeinflussen. Daß Mussolini von seinen Gegnern ge-
    stürzt worden war und Italien nicht länger mehr Verbündeter
    sein wollte, ließ sie kalt. Man erklärte uns, daß man sich
    eines Verbündeten entledigt habe, der seit jeher ein unsicherer
    Kantonist gewesen sei. Wir hatten den Eindruck, daß wir
    auch alleine »durch das Schwert den Sieg erringen« könnten
    … Auch das Attentat auf Hitler vermochte ihren glühenden
    Eifer und ihre Glaubensgewißheit nicht zu erschüttern.
    Wenige Tage später erschienen auf den Kinoleinwänden in
    ganz Deutschland Bilder des verletzten Hitler, der von sei-
    nen Getreuen umgeben war, von Männern, die bereit waren,
    seinen wahnsinnigen Weg auch jetzt noch mitzugehen. Der
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    Todesengel wütete weiter, und Millionen anderer Menschen
    wurden der Vernichtung preisgegeben.
    Wir wurden zu einer Versammlung zusammengetrommelt.
    Man wollte uns über die Ereignisse aufklären. Der Bannführer
    empörte sich über diese Verräterbande, die ihrer gerechten
    Strafe nicht entgehen werde. Er schärfte uns ein, fest zum
    Nationalsozialismus zu stehen, und wir schworen es mit er-
    hobenem Arm und sangen die Nazihymne. Man zeigte uns
    auch Auszüge aus einem Film, der bei der Verhandlung im
    Volksgerichtshof gedreht worden war. Wir sahen die Verschwö-
    rer, sahen, wie sie aus der Fassung gebracht und verurteilt
    wurden. Ich erinnere mich einer Sequenz, in der der Gene-
    raloberst von Witzleben, vor seinen Richtern stehend, seine
    Hose mit der Hand festhalten mußte, weil man ihm den
    Gürtel abgenommen hatte, und sie ihm herunterrutschte und
    seine Unterhose entblößte, als ihm der Vorsitzende den Befehl
    zum Strammstehen erteilt hatte. Das Saalpublikum fand dies
    lustig und brach in Lachen aus.
    Einige Angeklagte wurden an Fleischerhaken aufgehängt
    – wie Schweine nach dem Schlachten.
    Das Leben nahm wieder seinen gewohnten Rhythmus an.
    Eines Tages, Ende Juli 1944, wurde ich in das Verwaltungsge-
    bäude der HJ-Schule beordert. Dort teilte man mir mit, daß
    die Aufforderung für mich eingetroffen sei, die besagte, daß
    ich mir in einer bestimmten Dienststelle des Braunschweiger
    Polizeipräsidiums einige Papiere zu beschaffen hätte.
    Sofort verspannte ich mich, wurde hellwach. Ich wußte
    nicht, worum es sich handelte, wußte aber, daß jede offiziel-
    le Nachfrage meine ohnehin prekäre Lage noch gefährlicher
    machte. In der Nacht schreckte ich mehrmals aus dem Schlaf
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    auf und verlor mich in Vermutungen, eine bedrohlicher und
    entsetzlicher als die andere.
    Am nächsten Tag machte ich mich nach dem Unterricht
    mit den wenigen Papieren, die ich besaß, auf den Weg zu einer
    weiteren möglichen Kreuzigung. Ich hoffte, daß sie, entdeckten
    sie meine jüdische Abstammung, Mitleid mit mir zeigten und
    mich nicht sofort töteten. Ich tröstete mich bei dem Gedanken,
    daß sie mich vielleicht nach Lodz bringen würden, wo ich
    meine Eltern Wiedersehen könnte. Sogar die Tatsache, mich
    mit anderen Juden in einem Ghetto wiederzufinden, schien
    mir weniger schlimm als meine ständige Einsamkeit.
    Auf unsicheren Beinen betrat ich das Polizeigebäude; ich
    hatte mich mit einer eventuellen Veränderung meiner Le-
    bensumstände bereits abgefunden. Ich blieb kurz stehen, um
    mich innerlich vorzubereiten und mir Haltung zu geben. Ich
    klopfte an die Tür für »Innere Angelegenheiten, Abteilung
    Deutsche Staatsangehörigkeit«. »Herein!« rief eine Stimme im
    Raum. Aufrecht, kühn, bereit zu kämpfen, ging ich hinein.
    Mir gegenüber saß ein Zivilbeamter mit Parteiabzeichen. Ich
    reckte mich in die Höhe und schmetterte ein besonders zak-
    kiges »Heil Hitler!«. Er antwortete mit einem kurzen Gruß
    und bot mir einen Platz an. Betont höflich händigte ich ihm
    meine Vorladung aus. Er machte ein langes »Hmm« und
    begann, in einer neben ihm liegenden Akte zu blättern. Es
    gelang mir, meine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu halten
    und mir meine Unruhe nicht anmerken zu lassen. Ich konnte
    es nur dank eines Geschenks des Himmels und beharrlicher
    Arbeit an mir. Die Minuten, die verstrichen, zerrten an

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