Ich war Hitlerjunge Salomon
Umgebung
taten ihre Wirkung, und ich war bald wieder bei der Sache.
Im Unterricht wurde uns weiterhin die ruhmvolle Verän-
derung der Welt gepriesen, die wir im Begriff waren, herbei-
zuführen. Selbst die Errichtung eines Denkmals mit einer
Tafel, auf der die ersten, an der Front gefallenen ehemaligen
Internatsschüler geehrt wurden, konnte diese Geisteshaltung
nicht beeinflussen. Daß Mussolini von seinen Gegnern ge-
stürzt worden war und Italien nicht länger mehr Verbündeter
sein wollte, ließ sie kalt. Man erklärte uns, daß man sich
eines Verbündeten entledigt habe, der seit jeher ein unsicherer
Kantonist gewesen sei. Wir hatten den Eindruck, daß wir
auch alleine »durch das Schwert den Sieg erringen« könnten
… Auch das Attentat auf Hitler vermochte ihren glühenden
Eifer und ihre Glaubensgewißheit nicht zu erschüttern.
Wenige Tage später erschienen auf den Kinoleinwänden in
ganz Deutschland Bilder des verletzten Hitler, der von sei-
nen Getreuen umgeben war, von Männern, die bereit waren,
seinen wahnsinnigen Weg auch jetzt noch mitzugehen. Der
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Todesengel wütete weiter, und Millionen anderer Menschen
wurden der Vernichtung preisgegeben.
Wir wurden zu einer Versammlung zusammengetrommelt.
Man wollte uns über die Ereignisse aufklären. Der Bannführer
empörte sich über diese Verräterbande, die ihrer gerechten
Strafe nicht entgehen werde. Er schärfte uns ein, fest zum
Nationalsozialismus zu stehen, und wir schworen es mit er-
hobenem Arm und sangen die Nazihymne. Man zeigte uns
auch Auszüge aus einem Film, der bei der Verhandlung im
Volksgerichtshof gedreht worden war. Wir sahen die Verschwö-
rer, sahen, wie sie aus der Fassung gebracht und verurteilt
wurden. Ich erinnere mich einer Sequenz, in der der Gene-
raloberst von Witzleben, vor seinen Richtern stehend, seine
Hose mit der Hand festhalten mußte, weil man ihm den
Gürtel abgenommen hatte, und sie ihm herunterrutschte und
seine Unterhose entblößte, als ihm der Vorsitzende den Befehl
zum Strammstehen erteilt hatte. Das Saalpublikum fand dies
lustig und brach in Lachen aus.
Einige Angeklagte wurden an Fleischerhaken aufgehängt
– wie Schweine nach dem Schlachten.
Das Leben nahm wieder seinen gewohnten Rhythmus an.
Eines Tages, Ende Juli 1944, wurde ich in das Verwaltungsge-
bäude der HJ-Schule beordert. Dort teilte man mir mit, daß
die Aufforderung für mich eingetroffen sei, die besagte, daß
ich mir in einer bestimmten Dienststelle des Braunschweiger
Polizeipräsidiums einige Papiere zu beschaffen hätte.
Sofort verspannte ich mich, wurde hellwach. Ich wußte
nicht, worum es sich handelte, wußte aber, daß jede offiziel-
le Nachfrage meine ohnehin prekäre Lage noch gefährlicher
machte. In der Nacht schreckte ich mehrmals aus dem Schlaf
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auf und verlor mich in Vermutungen, eine bedrohlicher und
entsetzlicher als die andere.
Am nächsten Tag machte ich mich nach dem Unterricht
mit den wenigen Papieren, die ich besaß, auf den Weg zu einer
weiteren möglichen Kreuzigung. Ich hoffte, daß sie, entdeckten
sie meine jüdische Abstammung, Mitleid mit mir zeigten und
mich nicht sofort töteten. Ich tröstete mich bei dem Gedanken,
daß sie mich vielleicht nach Lodz bringen würden, wo ich
meine Eltern Wiedersehen könnte. Sogar die Tatsache, mich
mit anderen Juden in einem Ghetto wiederzufinden, schien
mir weniger schlimm als meine ständige Einsamkeit.
Auf unsicheren Beinen betrat ich das Polizeigebäude; ich
hatte mich mit einer eventuellen Veränderung meiner Le-
bensumstände bereits abgefunden. Ich blieb kurz stehen, um
mich innerlich vorzubereiten und mir Haltung zu geben. Ich
klopfte an die Tür für »Innere Angelegenheiten, Abteilung
Deutsche Staatsangehörigkeit«. »Herein!« rief eine Stimme im
Raum. Aufrecht, kühn, bereit zu kämpfen, ging ich hinein.
Mir gegenüber saß ein Zivilbeamter mit Parteiabzeichen. Ich
reckte mich in die Höhe und schmetterte ein besonders zak-
kiges »Heil Hitler!«. Er antwortete mit einem kurzen Gruß
und bot mir einen Platz an. Betont höflich händigte ich ihm
meine Vorladung aus. Er machte ein langes »Hmm« und
begann, in einer neben ihm liegenden Akte zu blättern. Es
gelang mir, meine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu halten
und mir meine Unruhe nicht anmerken zu lassen. Ich konnte
es nur dank eines Geschenks des Himmels und beharrlicher
Arbeit an mir. Die Minuten, die verstrichen, zerrten an
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