Ich werde dich so glücklich machen: Roman (German Edition)
ganzen Leib, dass er seinen Mittagsschlaf nicht gehalten hatte. Es schien auch viele Jahre her zu sein, dass er
eine Nacht mit richtigem Schlaf hinter sich gebracht hatte. Verdammt. Wenn er nur ein wenig entkommen könnte, einfach nur existieren. Nicht mehr fühlen oder denken. Das Mädchen könnte im Sommer einige Wochen bei seinen Eltern in Rissa verbringen, und er würde wegfahren, um zu sich zu kommen. Weit weg von Klassenarbeiten, die korrigiert werden mussten, weit weg vom Dasein als Witwer mit einer Tochter und Weibsbildern, denen er leidtat. Ihm war ja klar, dass sie Mitleid mit ihm hatten, auch wenn sie lachten und über dünne Handtücher redeten. Vielleicht sollte er am nächsten Tag nach der Arbeit in einen Laden gehen und Handtücher und Kissen kaufen, es einfach hinter sich bringen. Vor aller Augen teppichdicke Handtücher aufhängen, damit sie an ihrer Kritik erstickten, damit sie sahen, dass er wusste, was er tat.
»Dann weiter mit der nächsten Runde«, sagte er und legte den Deckel auf den bunten Kleiderhaufen in der Wäschetrommel.
»Ich kann inzwischen das Geschirr abtrocknen und einräumen. Willst du dich aufs Sofa legen?«
»Nein. Wie geht es übrigens mit dem Winkel?«
»Dem Winkel?«
»Zwanzig Grad.«
»Das ist doch lange her«, sagte sie.
»Du hast aufgegeben?«
»Nicht aufgegeben, aber … Das geht doch nicht, Papa.«
Er steckte sich eine Zigarette an. Der Raum war erfüllt von den Geräuschen der Waschmaschine, die Trommel bewegte sich hin und her, und der Deckel zitterte. Verdammt, sie war so klein und dünn. Es war nicht zu fassen, dass dieser kleine Körper, dieser kleine Kopf so viel begriff. Es war unmöglich, einen Winkel von zwanzig Grad zu konstruieren, trotzdem hatte er sie dazu aufgefordert, nachdem er ihre mathematische Begabung
erkannt hatte. Er selbst hatte als Junge auf der Realschule Wochen mit diesem Versuch zugebracht.
»Es geht einfach nicht mit Zirkel und Lineal, Papa.«
»Wenn du zwei Punkte auf einem Lineal hast und das gleiten lässt … zwei Zielpunkte.«
»Aber das wäre Pfusch.«
»Ja. Sogar die alten Griechen haben es mit diesem Trick probiert.«
»Es wäre Pfusch. Das geht nicht.«
Sie stopfte das Geschirrtuch in ein Glas und drehte es um, dann streckte sie die Hand zum Schrank hoch und stellte die Gläser vorsichtig nebeneinander hinein, er rauchte und sah ihr zu. Die Zigarette war gut und stark, richtig trocken. So gefiel es ihm, die Packung hatte zu lange im Laden gelegen, und Tabak rieselte von der Spitze, als er sie anzündete. Er wollte zurück zum Kiosk gehen und die restlichen Packungen kaufen, er hasste frische und feuchte Zigaretten, dann musste man daran ziehen, bis das Zwerchfell wehtat. Vielleicht sollte er mit dem Selberdrehen anfangen. Er könnte einen ganzen Stapel drehen und in den Trockenschrank legen. Ja, das war eine gute Idee.
»Du hast ganz recht. Es geht nicht. Denk an den Kreis. Die alten Ägypter haben versucht, die Quadratur des Kreises zu definieren. Unmöglich. Krumme Linien sind die Hölle. Die Quadratur des Kreises ist unlösbar.«
»Radius und Diameter sind ja …«
»Sicher. Sicher. Aber … warte mal. Ich denke gerade an etwas ganz anderes.«
Ihr fielen zwei Gabeln auf den Boden, und sie hob sie ganz schnell auf. Ihre Füße in der Strumpfhose malten kleine dunkle Flecken auf das blaue Linoleum, wenn sie hin und her lief, eifrig und tüchtig. War er nicht ein guter Vater? War er das nicht? Doch, dachte er, das bin ich. Sie machte einen glücklichen Eindruck.
Im Moment ein bisschen müde, aber glücklich und eifrig.
»Jetzt hör mal zu«, sagte er.
Das war das Signal. Das wussten sie beide. Sie stellte sich vor ihm auf, hielt dabei mehrere Teelöffel in der linken und ein schmutziges Geschirrtuch in der rechten Hand. Alles an ihr war nass: Haare, Kleider, was sie in der Hand hielt, das ganze Mädchen tropfte vor Arbeitseifer, und jetzt würde sie herausgefordert werden hinter der blanken kleinen Mädchenstirn. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es war unglaublich, wie sie alle anderen Aufgaben vergaß, wenn er die magischen Worte sprach: »Jetzt hör mal zu.«
»Ja?«, fragte sie.
Die Teelöffel tropften auf den Boden.
»Vielleicht solltest du erst fertig abtrocknen?«
»Nein.«
»Na gut.«
Er zog energisch an der Zigarette, ging zu den Küchenfenstern und blies den Rauch dagegen, schaute hoch zum Himmel, der von blassem Aprilblau war, hörte, dass sie sich hinter ihm überhaupt nicht bewegte.
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