Ich werde die Bilder im Kopf nicht los - mein Leben nach dem Missbrauch
Stiefvater mich mittags geweckt hat.«
Krause: »Hast du irgendeine Art Verletzungen davongetragen von der Tat?«
Ich: »Ich hatte blaue Flecken an der Brust. Aber sonst nichts.« Krause: »Als dein Stiefvater dich mittags geweckt hat, wie war das?«
Ich: »Er kam rein, hat gesagt, ich könne langsam auch mal meinen Arsch aus dem Bett kriegen. Schließlich, also, schließlich hätte ich ja nun auch noch nicht so wirklich viel geleistet. Und ich solle mich freuen, auf das, was noch kommt. Aber, aber er würde es dennoch vorziehen, wenn ich weiter zur Schule gehen würde. Denn eine Vollzeitnutte bräuchte er nicht.«
Krause: »Das hat er so gesagt?«
Ich: Kopfnicken.
Krause: »Hat deine Mutter dich denn nicht noch einmal darauf angesprochen, wie die Fahrt zusammen war? Oder hat sie nicht irgendwas anderes bemerkt?«
Ich: »Sie hat kurz gefragt, wie es denn war, ja. Aber wirklich interessiert hat sie es eh nicht.«
Krause: »Aber trotzdem kann ich das nicht verstehen, dass sie sonst nichts bemerkt hat. Als Mutter muss man doch was sehen.«
Ich: »Meine Güte, fragen Sie sie doch selber. Vielleicht wollte sie nichts merken, vielleicht war es ihr völlig egal. Vielleicht war sie froh, weil sie vielleicht ihre Ruhe hatte. Woher soll ich das denn wissen?«
Krause: »Anna, ist alles in Ordnung? Oder ist dir nicht gut?« Ich: Kopfschütteln.
Krause: »Dann sag doch bitte was. Es ist wohl besser, wir machen für heute Schluss.«
10:07 Uhr: Vernehmung musste aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen werden.
Auszug aus dem Vernehmungsprotokoll, 29. Juni 2011, 10:07 Uhr
Ich bin ein Wrack. Ich kann nicht mehr essen, nicht mehr schlafen. Meine Arme und Oberschenkel sehen aus, als wären sie in einen Fleischwolf geraten. Am liebsten würde ich zu meiner Mutter fahren, auch wenn das absurd ist. Aber irgendwie ist sie doch die einzige lebende Person, die für mich verantwortlich ist.
Seitdem ich vor fünf Jahren ausgezogen bin, sehen wir uns selten und auch nur, wenn ich mich darum bemühe. Meistens rufe ich sie vorher an, damit ich IHM nicht begegne. Wenn ich dann bei ihr am Küchentisch sitze, wissen wir kaum etwas miteinander anzufangen. »Wie geht es dir?«, frage ich höflich, obwohl ihr Anblick mehr verrät, als sie jemals zugeben würde: dieses rot geäderte, aufgequollene Gesicht mit dem abwesenden Gesichtsausdruck, ihr Alkoholgeruch, ihre Kreislaufprobleme … Kaum vorstellbar, was für eine hübsche, lebensfrohe Frau sie mal war!
»Bei mir ist es wie immer. Und selbst? Immer noch am Reiten?«, will sie dann halbherzig wissen und ich wünschte, ich könnte ihr ein echtes Interesse abnehmen oder etwas Liebevolles in ihren Augen entdecken. Zwar bemühe ich mich regelmäßig um Treffen, aber eigentlich geht es mir danach meist schlechter als zuvor. Aber ich hoffe immer noch, dass es irgendwann besser wird …
Klar habe ich meine Freundinnen. Aber die leben ihr eigenes Leben. Schließlich wissen sie nicht mal, was bei mir los ist. Sophia ist gerade mit ihrem Umzug nach Süddeutschland beschäftigt und Kerry mit ihrem neuen Freund, von dem sie glaubt, dass sie ihn mal heiraten wird. Ich ziehe mich nur noch zurück. Weder ertrage ich Sophias Umzug noch Kerrys Freund. Ich beneide meine Freundinnen darum, dass sie so normal mit ihren Leben umgehen können, und frage mich, wie ich wäre, wenn all das nicht passiert wäre. Es fällt mir schwer einzugestehen, dass mein Stiefvater so viel in mir zerstört haben könnte. Irgendwie verstehe ich es auch gar nicht: Es ist doch nun vorbei. Warum können diese Wunden nicht ganz normal heilen? Ein Armbruch, eine Fleischwunde – alles ist doch irgendwann wieder gut. Bis auf ein paar Narben vielleicht. Aber ich fühle mich komplett unbrauchbar. Wäre ich eine Maschine, würde man mich beim Sondermüll entsorgen: unreparabel defekt. Dabei will ich das gar nicht! Ich will nicht, dass mein Stiefvater diese Macht über mein Leben hat – immer noch.
Diese Vorstellung macht mich richtig wütend! Aber auch verzweifelt. Weil ich nicht weiß, an wen ich mich sonst wenden soll, klappe ich meinen Laptop auf und schreibe meinen virtuellen Freundinnen im Missbrauchs-Forum.
»Ich kann es einfach nicht begreifen, wieso das alles solche Konsequenzen hat. Verdammt – irgendwann muss doch auch mal gut sein, oder nicht?
Und ja, es waren Jahre, in denen mein Körper ein bisschen leiden musste. Aber irgendwie muss man sich doch mal lösen können. Immer wieder an irgendwelche Scheißdinge
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