Ich werde schweigen Kommissar Morry
Sie nützen dieses Wissen schamlos aus. Sie halten mich unbarmherzig in ihren gierigen Fängen fest. Sie haben genaue Kenntnis von einem Brief, den mir Ihr Gatte drüben zukommen ließ. Darin forderte er mich auf, in Zukunft Ihre Gesellschaft zu meiden und die Ehre seines Hauses rein zu halten. Am nächsten Tag fand man dann Ihren Mann ermordet auf der Terrasse . . .“
„Haben Sie den Brief dabei?“, fragte Melanie Garden kalt und gleichgültig.
„Ja“, stammelte Pancras Holm. „Ich habe ihn mitgebracht. Hier ist er.“
Melanie Garden nahm sich nicht erst die Mühe, das verhängnisvolle Schreiben zu lesen. Sie zerriß den Brief in winzige Schnitzel und warf die Fetzen in den Aschenbecher.
„Man darf solche Dinge nicht aufheben“, sagte sie ungerührt. „Sie sind gefährlich. Das hätten Sie wissen sollen, Mr. Holm.“
Pancras Holm blickte verstört vor sich hin. „Und jetzt?“, fragte er ratlos. „Was nützt es, wenn der Brief nicht mehr existiert? Glauben Sie, daß mir dadurch geholfen ist?“
Darauf wußte auch Melanie Garden keine Antwort. Sie benahm sich überhaupt so fremd und unnahbar, daß es Pancras Holm buchstäblich fror in ihrer Nähe. Er war fassungslos verwundert über die Verwandlung, die mit dieser Frau vor sich gegangen war. In Brasilien war sie jedenfalls ganz anders gewesen. Viel zärtlicher, anschmiegsamer und leidenschaftlicher . . .
„Es wäre mir lieb, wenn Sie mich jetzt verlassen würden“, sagte Melanie Garden herb. „Vielleicht können Sie auch Ihren Kollegen ausrichten, daß ich ihre Besuche nicht mehr wünsche. Ich möchte hier ein ganz neues Leben beginnen.“
„Hoffentlich gelingt es Ihnen“, sagte Pancras Holm verärgert und erhob sich. „Ich werde Ihren Wunsch in Zukunft respektieren. Von mir werden Sie nicht mehr gestört werden.“
Als er wieder auf der Straße stand, war seine Laune so tief gesunken wie nie zuvor. Er hatte noch den halben Nachmittag und den ganzen Abend vor sich. Wohin sollte er gehen? Wie sollte er sich die Zeit vertreiben? Wo konnte er etwas Abwechslung und Zerstreuung finden? In einem Automatenbüfett und in einer Teestube verbrachte er die Stunden bis zum Abend. Dann ging er aus alter Gewohnheit in die Navarra- Bar.
Er wußte jetzt schon, daß er sich dort nicht amüsieren würde. Aber er wußte keine anderen Möglichkeiten. So lenkte er seine Schritte zum Georges Place in Holloway.
Er hatte kaum die Bar betreten, da mußte er die erste Enttäuschung erleben. Von seinen Kollegen war niemand da. Der Stammtisch am Parkett gähnte ihm leer entgegen. Was blieb Pancras Holm also anderes übrig, als sich wieder zu Daisy Hoorn an die Bartheke zu setzen. Das blondhaarige Mädchen mit den üppigen Formen und dem verschleierten Blick bediente ihn höflich, aber ohne besondere Freude.
„Sie hätten gestern ruhig mit mir gehen können“, versuchte Pancras Holm zu scherzen. „Wie Sie sehen, bin ich noch immer am Leben. Wir hätten uns ein paar nette Stunden machen können.“
Daisy Hoorn war heute wieder einmal schrecklich nervös. Sie wirkte geistesabwesend und zerfahren. Als sie sich eine Zigarette anzündete, zitterten ihre Hände so stark, daß die Ringe leise aneinander klirrten.
Pancras Holm nippte an seinem Cocktail. „Wir könnten es ja heute nachholen“, meinte er blinzelnd. „Ich würde vorschlagen, daß wir uns später in ein Clubkabarett setzen, das bis zum Morgen geöffnet hat. Es ist ja nur, weil ich die Dunkelheit der Nacht und die Einsamkeit nicht mehr ertragen kann.“
„Tut mir leid, Mr. Holm“, sagte Daisy Hoorn abwehrend. „Ich bleibe bei meinem Nein. Verstehen Sie mich doch! Ich möchte nicht ein zweites Mal in den Augen der Kriminalpolizei wie eine Dirne dastehen.“
„Wenn Sie mit mir ein Kabarett besuchen, sind Sie noch lange keine Dirne“, sagte Pancras Holm kopfschüttelnd. „Wie kommen Sie denn auf solche Ideen?“
Daisy Hoorn ließ sich nicht umstimmen. Sie wurde im Gegenteil immer zugeknöpfter. Sie wanderte ein Stückchen zur Seite und widmete sich anderen Herren. Plötzlich konnte sie sogar wieder lachen. Wir sind tatsächlich verfemt und ausgestoßen, dachte Pancras Holm bitter. Wo wir auftauchen, erstickt jede Fröhlichkeit. Wir haben keinen anderen Freund mehr als den Tod.
Er trank sein Glas aus und legte einen Geldschein auf die Theke. Als er sich eben erheben wollte, kam der Barkellner zu ihm heran. „Sie werden am Telephon verlangt, Sir“, sagte er höflich.
„Ich?“, fragte Pancras
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