Ich will doch nur küssen
Der Anblick versetzte ihr prompt einen Stich. Sie war alles andere als stolz darauf, konnte ihre Eifersucht aber nicht leugnen. Und dann hallten zu allem Überfluss auch noch Lissas Worte in ihren Ohren. Er hat es bei keiner lange ausgehalten.
Faith wusste so wenig über Ethan und darüber, was geschehen war, nachdem er die Stadt verlassen hatte. Was hatte ihn dazu veranlasst, abzuhauen? Warum hatte er solche Schuldgefühle? Hatte er in den vergangengen Jahren irgendwelche Beziehungen gehabt? Oder war er immer noch der gleiche Schürzenjäger und Herzensbrecher wie früher?
Warum interessierte sie das überhaupt? Sie war frei und ungebunden, zum allerersten Mal, und sie wusste, dass sie der Versöhnung mit seinen Brüdern nur im Weg stehen würde – insbesondere, was Nash anging. Warum also zerbrach sie sich seinetwegen den Kopf? Warum versuchte sie, ihn zu verstehen?
Weil sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Ganz egal, wie sehr sie sich dagegen wehrte, sie begehrte ihn. Sie musste ihn haben, nur einmal, musste das, was sie vor zehn Jahren angefangen hatten, zu Ende bringen.
Konnten sie miteinander ins Bett gehen, ohne dass es ihre Zusammenarbeit gefährdete? Konnte sie mit ihm schlafen, ohne ihr Herz zu verlieren? Konnte sie sich ihm hingeben, ohne zwischen ihn und seine Brüder zu geraten?
So viel zum Thema Stimmungsschwankungen. Sie war ja diesbezüglich nicht viel besser als Lissa!
Faith wusste keine Antwort auf all die Fragen. Aber jetzt war auch nicht die Zeit für Antworten. Sie blickte von Ethan und Kate zu Tess, die mit gesenktem Kopf und einem Bleistift in der Hand an ihrem Tisch saß.
Faith trat an sie heran. »Na, was machst du gerade?«, fragte sie und stellte die beiden Kaffeebecher ab.
Tess antwortete nicht, und erst da bemerkte Faith den iPod, der nebst einem Blatt Papier vor ihr lag, und die Kopfhörer in den Ohren des Teenagers.
»Hi.« Faith wedelte ihr mit der Hand vor der Nase herum, was ihr einen verärgerten Blick eintrug.
Faith bedeutete ihr, die Kopfhörer abzunehmen, und als Tess den Blick wieder senkte und so tat, als hätte sie es nicht gesehen, griff Faith nach einem der langen weißen Kabel und zog ihr den Ohrstöpsel aus dem Ohr.
»Hey!«
»Hey du. Ich habe dich gefragt, was du da gerade machst.«
»Das geht dich gar nichts an«, fauchte Tess und zerknüllte das Blatt Papier.
Aber Faith hatte gerade noch einen Blick auf die Skizzen erhaschen können, die sie angefertigt hatte. »Nicht doch! Das ist doch viel zu schade, um es zu zerknüllen und wegzuwerfen. Ich wollte es auch gar nicht sehen; ich war nur neugierig, was du machst.«
»Ich zeichne. Voll spannend.«
Faith wertete die Tatsache, dass sich Tess anscheinend für bildende Kunst interessierte, als ermutigend, denn das bedeutete, dass sie offen war für eine kreative, positive Freizeitbeschäftigung. Faith nahm sich vor, Ethan davon zu berichten.
Faith nickte. »Ist doch super. Du kannst dir nächstes Mal ein paar Blätter Druckerpapier aus der Schublade dort drüben nehmen, das ist doch sicher besser als die Rückseite einer Rechnung.« Sie deutete auf das zusammengeknüllte Blatt, das Tess in der Hand hielt.
»Faith! Ich habe dich ja gar nicht reinkommen gehört!« Kate gesellte sich zu ihnen, Ethan folgte ihr auf dem Fuß.
»Ach, ihr zwei habt so beschäftigt ausgesehen, da wollte ich nicht stören.« Faith krümmte sich innerlich, denn ihr war klar, wie unreif das klang. »Hier, dein Kaffee.« Sie reichte Kate das Getränk.
»Danke.« Kate warf ihr einen seltsamen Blick zu, den Faith geflissentlich ignorierte.
»Ich habe Ethan gerade von den diversen Programmen im Jugendzentrum erzählt«, erklärte Kate.
Sogleich plagte Faith das schlechte Gewissen.
Kate nahm ihren Becher. »Ich packe jetzt noch eine letzte Kiste aus, dann lasse ich es für heute gut sein. Danke für den Kaffee.« Sie schwenkte den Becher und kehrte zu den Regalen zurück.
»Diese Programme sind doch hoffentlich nicht für mich gedacht«, murmelte Tess.
»Also, ich sehe hier keine anderen Jugendlichen «, meinte Ethan. »Du hast doch nicht ernsthaft gedacht, du könntest den ganzen Sommer nur herumsitzen und kiffen, oder?«
Faith hob eine Augenbraue, und Ethan nickte ihr unauffällig zu.
Hm, das klang, als hätte er noch mehr Probleme am Hals, als ursprünglich angenommen.
Tess musterte ihn eisig. »Ich bin noch keine vierundzwanzig Stunden da, und du willst mich schon wieder loswerden. Na ja, überrascht mich nicht. Was gibt’s
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