Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman
hat er keinen griechischen Namen? Weil seine Mutter Schwedin ist, wahrscheinlich. Nils wurde in Schweden geboren, und in der Schule denkt wahrscheinlich keiner darüber nach, dass er griechischer Abstammung ist. Und wer weiß, vielleicht ist ja genau das der Sinn des Namens. Dass er nicht auffällt. Selbst Eltern kapieren manchmal, dass sich darum alles dreht: dazuzugehören und nicht aus dem Rahmen zu fallen. Nur Silja kapiert das nicht oder tut so, als würde sie es nicht kapieren. Weil sie es witzig findet, mich zu verwirren. Dabei denke ich so schon viel zu viel über alles nach. Wieso lasse ich zu, dass Silja meine Freundschaft mit Tonja infrage stellt? Das ist doch verrückt. Ich kenne Tonja von klein auf in- und auswendig und Silja ist sozusagen erst vor fünf Minuten in mein Leben getreten!
Ich schiebe die Grübeleien entschieden beiseite, gehe in mein Zimmer und rufe Tonja an. Nichts wird sich je zwischen uns stellen. Absolut nichts.
Ein paar Stunden später sitzen wir auf Tonjas kariertem Bettüberwurf und unterhalten uns im Flüsterton. Ab und zu geht einer ihrer Eltern im Flur vorbei, worauf wir prompt verstummen, obwohl die Tür ordentlich zu ist. Die Sensation ist ein Fakt. Tonja und Lukas haben es gemacht.
»Jetzt musst du dich ranhalten!«, sagt Tonja grinsend. »Ich will nicht alleine entjungfert sein.«
»Sag das Nils«, flüstere ich kichernd. »Er scheint es nicht so eilig zu haben wie ihr.«
Tonja nimmt ihr Handy und tippt scherzhaft auf den Tasten herum.
»Hallo, Nils, jetzt musst du aber wirklich mal …«, sagt sie und ich stürze mich lachend auf sie.
Danach liegen wir nebeneinander auf dem Rücken wie schon tausendmal vorher. Die verkleidete Decke ist mir so total vertraut, die weiße Lasur auf dem grauen Holz, jede Nuance.
»Und es hat wirklich nicht wehgetan?«, frage ich. »Nicht mal ein kleines bisschen?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Oder … na ja, ein ganz klein bisschen vielleicht. Aber es war eher wie ein … Plopp . Anfangs hatte er Schwierigkeiten, reinzukommen, aber als er dann plötzlich durchkam … echt, man merkt, wie das Jungfernhäutchen reißt. Wie bei einem Kaugummi, das man nicht aufbläst, sondern nach innen einsaugt, bis es platzt.«
Ich kriege einen hysterischen Lachanfall über den Vergleich und Tonja lacht noch mehr.
»Natürlich ohne den Knall, schon klar, oder?«, kichert sie.
Wir beruhigen uns wieder, und obwohl über uns die gleiche alte Decke ist und neben mir die gleiche alte Tonja liegt, fühlt sich alles irgendwie groß und neu an. Und zum zigsten Mal denke ich: Sie hat es gemacht. Mit Lukas! Ich muss zugeben, dass ich nicht wirklich geglaubt habe, dass es passiert, obwohl sie den ganzen Nachmittag über nichts anderes geredet hat, und das sage ich ihr. Sie dreht ihr Gesicht zu mir und lächelt. Ein breites Grübchenlächeln mit glitzernden Augen. Ich spüre ihren Atem in meinem Gesicht.
»Ich auch nicht«, sagt sie.
»Und hinterher?«, bohre ich weiter. »Nach dem Kaugummiplopp. War es schön?«
Tonja zuckt mit den Achseln.
»Es hat ein bisschen gebrannt, aber es hat auch nur ein paar Sekunden gedauert, bis Lukas … na, du weißt schon. Und das war’s dann.«
»Gut, dass wir uns im Frühjahr um die Pille gekümmert haben«, sage ich.
»Papa findet das nach wie vor viel zu früh. Ich glaube, er hat die Horrorvorstellung, dass ich an irgendeinen Widerling gerate oder es ohne Gummi machen und mir eine Geschlechtskrankheit einfange oder trotz Pille schwanger werde. Aber Lukas und ich kennen uns schon lange, wir waren nüchtern und wir mögen uns. Ich an seiner Stelle wäre froh, wenn es für meine Tochter so laufen würde.«
Let’s go all the way tonight. No regrets, just love, singt Katy Perry passend aus dem PC-Lautsprecher.
»Schlimmer als Ohrlöcher schießen war es jedenfalls nicht«, sagt Tonja.
Ich starre wieder an die Zimmerdecke. Vielleicht bin ich ja doch hoffnungslos superromántica, aber ich wünsche mir, dass das erste Mal besser als Ohrlöcherschießen ist. Als ich Tonja das sage, sieht sie fast ein bisschen gekränkt aus.
»Es war schön«, versichert sie. »Vorher, als wir uns gestreichelt haben, und hinterher das Kuscheln in seinem Bett. Das war total schön. Bis wir den Blutfleck auf dem Laken entdeckt haben. Da wurde es etwas hektisch, weil wir das Bett neu beziehen mussten.«
»Beim Ohrlöcherschießen blutet es aber nicht«, sage ich.
»Okay, der Vergleich war vielleicht nicht der beste«, sagt Tonja. »Aber
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