Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman
durch den Kopf, dass Nils dann wahrscheinlich wie Kostas aussehen wird, was zu einer Lachattacke führt, in der ich den letzten Schluck Milch über den Küchentisch pruste.
Ich gehe in mein Zimmer, klicke die Cardigans auf meinem Laptop an und lege die Englischmappe auf den Schreibtisch, um mich von meinen Grübeleien abzulenken und ein bisschen mit der Argumentation voranzukommen, die Grace bis Mittwoch haben will. Das Thema ist »Nachhaltige Entwicklung«, was sich durch mehrere Fächer zieht. Als Erstes sollen wir auf Englisch argumentieren, warum man sich um die Umwelt kümmern sollte, und mindestens fünf Beispiele dazu nennen. Es bringt sicher Pluspunkte ein, wenn man eine Handvoll unregelmäßiger Verben einbaut.
Um Viertel nach fünf kommt Papa nach Hause. Er pfeift munter vor sich hin und begibt sich direkt in die Küche zu Töpfen und Schneidebrettchen. Ich bin auch ziemlich gut gelaunt. Die Argumentation ist mehr oder weniger fertig und ich finde sie richtig gelungen. Ich könnte Tonja ja eine SMS schicken, ob sie auch schon fertig ist. Nur so als kleinen Test, ob alles wieder im Lot ist. Ich drucke die zwei Seiten aus und gehe zu Papa, der am Herd steht und Zwiebeln und Knoblauch andünstet.
»Kannst du mal durchlesen, was ich für Englisch geschrieben habe?«, frage ich.
Er zieht die hochrandige Pfanne von der Platte und wischt sich die Hände am Geschirrtuch ab.
»Aber sicher«, sagt er. »Gerne.«
Papa sieht immer aus, als würde ich ihm ein wundervolles Geschenk machen, wenn ich ihn bitte, meine Hausaufgaben anzugucken. Ich gebe ihm die beiden Blätter.
»Es eilt nicht«, sage ich.
»Ach was, ich lese es jetzt gleich«, sagt er. »Dann kannst du noch Änderungsvorschläge einarbeiten, falls es welche gibt.«
Ich gehe in mein Zimmer und nehme mein Handy.
Fertig mit der Englischhausaufgabe? <3
Mehr schreibe ich nicht. Am besten tu ich so, als wäre das mit der Fete nicht passiert, lasse es unerwähnt verpuffen. Entschuldigen muss ich mich nicht. Ich habe die Einladung nur weitergegeben und finde nach wie vor, dass ich nichts falsch gemacht habe.
Ich bleibe mit dem Handy in der Hand auf der Bettkante sitzen und warte. Hat sie gerade was anderes zu tun oder zögert sie? Das war ja nun keine sonderlich schwierige Frage, die ich ihr geschickt habe. Nichts, wofür man viel Bedenkzeit bräuchte.
Nach ein paar endlosen Minuten vibriert endlich das Handy.
Telefoniere gerade mit Lukas. Nein, Englisch noch nicht fertig. Du? <3
Ich atme auf. Sie ist nicht mehr sauer auf mich, sie telefoniert nur mit ihrem Freund. Und trotzdem nimmt sie sich die Zeit, mir zu antworten. Dann ist alles wieder gut. Ich schreibe ihr hastig, dass ich schon gut was geschafft habe. Dann stehe ich auf und stelle Erase/Rewind auf Repeat, ehe ich mich auf dem Bett ausstrecke. Gibt es ein passenderes Lied für Vendela Wankelmut? Ich grinse still vor mich hin.
Da vibriert das Handy schon wieder, diesmal lang und hartnäckig. Ich antworte, ohne vorher aufs Display zu gucken.
»Hallo, Silja hier.«
»Hallo, wart mal kurz …«
Ich muss aufstehen und die Lautstärke runterdrehen, damit ich sie verstehe. Außerdem brauche ich die paar Sekunden, um mich zu sammeln. Doch, ich habe die richtige Entscheidung getroffen. Tatsache ist doch, dass ich eigentlich gar keine Wahl hatte. Nicht wirklich. Die Welt ist nicht so, wie Silja denkt. Dass sie keine Hindernisse sieht, heißt ja nicht, dass es keine gibt.
»So, ich bin wieder da.«
»Hast du dich entschieden?«
»Ja … Ich komme nicht mit.«
Ein paar Sekunden ist es ganz still.
»Tonja will nicht, oder?«, fragt sie schließlich.
»Ja«, gebe ich zu. »Deswegen könnte ich natürlich trotzdem mitkommen, aber … Ich kenne da doch niemanden …«
»Doch, du kennst mich. Und Sven.«
Ich muss grinsen. »Nein, euch kenne ich auch nicht wirklich. Am wenigsten Sven.«
»Ach.«
»Wie auch immer, ich hab mich entschieden. Ihr könnt euch doch auch ohne mich amüsieren.«
»Ohne dich ist es nicht so lustig.«
»Lässt sich nicht ändern.«
Silja seufzt. »Okay. Sag Bescheid, falls du es dir anders überlegst.«
Erase and rewind
’cause I’ve been changing my mind
I’ve changed my mind
»Werde ich nicht. Es mir anders überlegen, meine ich. Ganz davon abgesehen, würden meine Eltern es mir wahrscheinlich gar nicht erlauben.«
»Eltern müssen ja nicht alles wissen«, sagt Silja. »Wir könnten sagen, dass du bei mir eingeladen bist. Oder bei Sven, wenn sie das besser
Weitere Kostenlose Bücher