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Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman

Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman

Titel: Ich will endlich fliegen, so einfach ist das - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beltz & Gelberg
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bewegen kann. Vielleicht ist ihr Blick ja magisch, vielleicht hat sie geübt, ihre Opfer zu hypnotisieren, jedenfalls verabschiedet sie sich in aller Seelenruhe vom Fahrer des Renaults, hängt ihre Tasche über die Schulter, ehe sie auf uns zukommt. Aus dem Augenwinkel sehe ich Tonja ein paar Schritte Richtung Schulgebäude gehen, dann aber stehen bleiben, als sie merkt, dass ich mich nicht vom Fleck gerührt habe. Emelie nagelt mich mit ihrem Blick fest, ihre Stimme ist ganz ruhig.
    »Der Rektor hat gestern Abend angerufen«, sagt sie. »Wir sollen irgendwann im Laufe des Vormittags bei ihm antanzen. Ich rate dir nur, dir ganz genau zu überlegen, was du gesehen hast.«
    Ich will erwidern, dass ich sehr genau weiß, was ich gesehen habe, aber meine Stimme hat sich verabschiedet. Emelie kommt noch einen Schritt näher. Jetzt steht sie so dicht vor mir, dass ich ihr Parfüm riechen kann, einen intensiven Citrusduft, der den stärksten Gegner aus den Latschen haut.
    »Lovisa war am Freitag im Garderobenraum der Lehrer, um dort aufs Klo zu gehen«, sagt sie. »Die Toiletten beim Aufenthaltsraum waren alle besetzt und es war nicht mehr lange bis zum Klingeln, klar? Du hast irgendwelche Scheiße über eine große, schwarze Tasche erzählt, aber das ist ihre Schultasche, oder? Und es ist ja wohl nichts Außergewöhnliches, in der Schule mit seiner Schultasche rumzulaufen, oder?«
    Ich bin mir nicht sicher, ob sie auf alle ihre Oders? eine Antwort erwartet, wohl eher nicht. Emelie kneift die Augen zusammen. Selbst aus der Nähe ist sie perfekt geschminkt. Nicht das kleinste Klümpchen in den Wimpern, nicht das leiseste Zittern des Pinselstrichs. Aber unter einer sorgfältig aufgetragenen Schicht Abdeckstift verbirgt sich ein kleiner Pickel. Weiß der Himmel, wieso mir ausgerechnet das auffällt. Ein kleiner Pickel auf Emelies Stirn wird mir kaum was nützen.
    »Wenn du heute ganz brav bist und nicht mit einem Haufen falscher Anschuldigungen kommst«, sagt sie, »hast du vielleicht eine Chance, diesen Tag zu überleben.«
    Sie verzieht den Mund, aber in ihrem Blick deutet nichts auf ein Lächeln hin.
    »Das wollte ich dir nur sagen. Und übrigens, die Hose ist echt hässlich. Bis dann.« Sie setzt sich in Bewegung.
    Shit, denke ich, shit, shit, shit, shit, wie komm ich da jetzt wieder raus?
    Tonja sieht mich mit großen Augen an.
    »Was war das denn?«, fragt sie.
    Obwohl ich Tonja gestern eine Menge erzählt habe, habe ich aus unerfindlichen Gründen versäumt, ihr von Lovisa, der Tasche, der Anzeige und dem Besuch beim Direktor zu berichten. Normalerweise hätte ich das als Erstes erzählt, und in diesem Augenblick ist mir auch schleierhaft, wie ich das vergessen konnte. Normalerweise hätte mir das eine schlaflose Nacht bereitet, aber offensichtlich verwirrt Sven mich mehr, als ich denke. Er bringt meinen Hormonhaushalt ganz durcheinander, so einfach ist das. Mir könnte ein Dachziegel auf den Kopf fallen, und ich würde wahrscheinlich vergessen, wegzulaufen, wenn er mich in dem Moment gerade anlächelt.
    Als meine Beine sich wieder daran erinnern, wie man sich bewegt, gehe ich neben Tonja über den Schulhof. Wir gehen langsam, obwohl es schon spät ist, aber ich habe eine Menge zu erzählen, und es kommt so durcheinander aus mir heraus, dass Tonja mehrfach nachfragen muss, um auch nur einigermaßen zu verstehen, was Sache ist. Als wir durch die Glastüren kommen, ist es noch eine Minute bis zur Mathestunde. Wir laufen zu unseren Schränken, schleudern die Jacken und Taschen hinein und schnappen uns unsere Bücher.
    »Das ist ja wohl krank«, sagt Tonja leise, als wir zum Klassenraum rennen. »Bist du sicher? Was, wenn es so ist, wie Em behauptet, dass Lovisa da nur aufs Klo gegangen ist?«
    »Man gratuliert doch nicht mit Schulterklopfen zu erfolgreichem Pinkeln«, wende ich ein.
    »Nein«, gibt Tonja unwillig zu. »Wohl nicht.«
    Britt will gerade die Tür zumachen, als sie uns in den Flur einbiegen sieht. Einige Lehrer kümmert es nicht, wenn man eine halbe Minute zu spät kommt, aber zu denen gehört Britt leider nicht. Insgesamt haben wir sämtliche Lehrer erwischt, die es mit den Zeiten ganz genau nehmen. Björn notiert grundsätzlich alle Verspätungen, genau wie Grace. Drei Verspätungen bedeuten einen Anruf bei den Eltern. Noch mehr können sich auf die Note auswirken. Ich weiß nicht, ob das zulässig ist, aber das behaupten sie.
    In meinem Kopf scheint irgendeine Fehlschaltung zu sein. Obwohl ich nach der

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