Ich will es hart
allerdings zu spät. Das Postamt hatte bereits geschlossen. Sie ließ das Päckchen auf dem Küchentisch liegen und setzte die unterbrochene Hausarbeit fort.
Es war bereits nach zehn Uhr abends, als ihr Telefon klingelte.
»Ja?« Aurelia war vorsichtig und meldete sich zu später Stunde nie mit ihrem Namen.
»Guten Abend, Aurelia«, sagte eine männliche, angenehm klingende Stimme.
Aurelia überlegte fieberhaft, welcher ihrer Bekannten erwartete, dass sie ihn an seiner Stimme erkannte. Aber es fiel ihr nichts ein.
»Du sagst ja gar nichts.«
»Keine Ahnung wer du bist. Kurt? Emanuel?«
Leises Lachen tönte ihr aus dem Hörer entgegen. »Nein, niemand, den du näher kennst«, erwiderte der andere, doch diesmal klang es geheimnisvoll und tiefer als zuvor.
»Wer sind Sie?« Aurelia befiel ein Zittern.
»Rate, Aurelia.«
Sie schluckte. Es blieb nur eine Möglichkeit offen. »Sind Sie etwa der – der mir diesen Brief geschrieben hat?«
»Schon möglich«, flüsterte die Stimme.
Sie war so markant, mit einem sonoren, durchaus angenehmen Klang, selbst jetzt, als er leise sprach, dass Aurelia sich zutraute, diese Stimme unter Hunderten anderen wiederzuerkennen. Aber sie erinnerte sich nicht, sie schon einmal gehört zu haben.
»Hast du mein Päckchen erhalten?«
»Ja, heute. Es lag einige Tage bei der Nachbarin.« Verflixt, warum erzählte sie ihm das überhaupt?
»Schade, ich hatte gehofft, du hättest es schon benutzt und würdest mir deine ersten Erfahrungen mitteilen.«
Aurelia schnaubte empört. »Das können Sie vergessen! Ich werde es nicht öffnen, sondern zurückschicken. Ich lasse mir von irgendeinem Fremden nichts schenken!«
»Ts ts. So wenig mutig? Ich bin ein wenig enttäuscht von dir. Hast du Angst, du wärest mir dann etwas schuldig?«
Seine Worte trafen ihren empfindlichsten Nerv. Sie war früher ein entsetzlicher Hasenfuß gewesen und hatte vor der Begegnung mit Fremden Angst gehabt. Irgendwann war sie ins kalte Wasser gesprungen und hatte sich psychisch freigeschwommen, jede Herausforderung gemeistert und erkannt, dass andere nicht weniger ängstlich waren als sie, es nur besser überspielten oder unter Kontrolle hatten.
»Das ist mir doch egal, ob Sie von mir enttäuscht sind. Ich kenne Sie ja gar nicht«, entgegnete sie schnippisch. »Und schuldig bin ich Ihnen sowieso nichts. Ich habe Sie nicht gebeten, mir ein Geschenk zu machen.«
»Ich verspreche dir, es ist weder Gift darin noch wird es explodieren. Du solltest wenigstens nachsehen, bevor du dich entscheidest. Vielleicht verpasst du was.«
»Nein, das glaube ich nicht. Und nun lassen Sie mich endlich in Ruhe!« In der Gewissheit, das Richtige zu tun, drückte sie den Ausschaltknopf und legte den Hörer beiseite. Sie schaltete den Fernseher ein. Aber die Ungewissheit, mit wem sie es zu tun hatte, versetzte sie in eine solche Unruhe, dass sie kaum mitbekam, um was es in der Sendung ging.
Es dauerte ungefähr zehn Minuten, da läutete es erneut.
»Nun, hast du es dir noch einmal überlegt?«
»Lassen Sie mich in Ruhe! Sonst rufe ich die Polizei an!«
Für Sekunden war Schweigen, und Aurelia hoffte, er würde auflegen.
»Du weißt, dass die Polizei nicht so schnell reagiert? Es ist dir ja nichts geschehen.« Grinste der Hund etwa dabei? »Ich möchte, dass es dir gutgeht. Was dir fehlt, ist Lust. Sexuelle Lust und Befriedigung. Und deshalb möchte ich, dass du das Päckchen jetzt öffnest. Sofort!«
Der hatte wohl nicht alle Tassen im Schrank! Seine Stimme war mit jedem Wort strenger geworden, als dulde er keinerlei Widerspruch. Aber der hatte ihr gar nichts zu befehlen! Aurelia legte wütend auf, ohne etwas zu erwidern.
Leider erfüllte sich ihre Hoffnung nicht, dass der Anrufer klein beigeben würde. Kurz darauf klingelte das Telefon erneut. Diesmal klang seine Stimme leiser, eher bittend, aber auf keinen Fall bettelnd. Eher beschwörend, eindringlich in seiner Überzeugungskraft. »Bitte, Aurelia. Gib mir eine Chance und öffne dein Geschenk!«
Was sollte sie tun? Das Telefon unter ein Kissen packen und hoffen, dass er aufgab, wenn sie nicht mehr ans Telefon ging? Ihre Mutter hatte ihr mal den Tipp gegeben, sich eine Trillerpfeife zuzulegen, um aufdringliche Anrufer abzuschrecken. Aber sie besaß bis heute keine Trillerpfeife. Sie musste irgendetwas anderes machen, was ihn zufriedenstellte, um ihn loszuwerden.
»Also gut, ich werde es auspacken. Aber nur, wenn Sie mir versprechen, dass Sie mich danach in Ruhe
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