Ich Will Ihren Mann
Drei Kinder sind in diesem Haus großgeworden. Nicht einer von uns hat je etwas von dem gesehen oder gehört, was sie da beschreibt! Ich habe sie nachts nie schreien hören, habe nie blaue Flecken oder Kratzer an ihr gesehen. Nichts. Ich erinnere mich nur an einen warmherzigen, liebevollen Ehemann und Vater, dem nicht mal dann die Hand ausrutschte, wenn wir was angestellt hatten. Und ich versichere Ihnen, es gab Zeiten, da waren wir echt unausstehlich. Aber er hat nie die Beherrschung verloren. O Gott, Lilian, was sie erzählt, kann einfach nicht wahr sein!«
»Ist es leichter für Sie, Ihre Mutter als Lügnerin zu sehen?« fragte Lilian.
Sie hörte einen gequälten Aufschrei. »Nein!« schluchzte das Mädchen verzweifelt. »Ich kann mir nicht erklären, warum sie das alles behauptet, es sei denn...«
»Es sei denn, sie ist verrückt«, ergänzte Lilian ruhig. »Sie muß ganz einfach den Verstand verloren haben«, sagte Lisa mit Nachdruck. »Es gibt keine andere Erklärung. Ich kenne meine Eltern. Mein Vater hätte es ebensowenig fertiggebracht, sie zu schlagen, wie meine Mutter ...« Sie stockte betroffen.
»... ihn hätte umbringen können«, beendete Lilian ihren Satz.
»Es sei denn, sie war nicht bei Sinnen«, stammelte Lisa unter Tränen. »Aber ich kann einfach nicht glauben, daß sie wahnsinnig ist! Ich bin völlig am Ende. Da lebt man mit Menschen zusammen, glaubt, sie zu kennen, alles über sie zu wissen, und plötzlich stellt sich heraus, daß man null Ahnung von ihnen hatte. Zack, einfach so! Was bedeutet das für mich? Für mein Leben?« »Was sagt denn Ihre Mutter dazu?« »Warum fragen Sie sie nicht selbst?« erwiderte Lisa dumpf. »Sie ist grade reingekommen.«
Lilian hörte, wie Lisa den Hörer übergab. »Lilli?« meldete sich Beth.
»Mir ist nie aufgefallen, daß Lisas Stimme deiner so ähnlich klingt«, sagte Lilian.
»Ja, wir werden am Telefon oft verwechselt.« Lilian spürte, wie Beth lächelte. »Wie geht's dir?« Lilian lachte. »Mir? Danke, ich kann nicht klagen. Aber was ist mit dir?«
»Hab' mich nie besser gefühlt«, antwortete Beth. »Aber ich wette, euch hab' ich alle ganz schön in Rage gebracht.« »Also du hast wirklich 'ne Art an dir...« »Na, dich hab' ich doch immerhin vorgewarnt.« »Vielen Dank.« Die beiden Frauen lachten.
»Also raus damit«, begann Beth. »Was glaubst du? Bin ich verrückt? Oder ne Lügnerin?«
Lilian kam es vor, als sei Beths forschender Blick direkt auf sie gerichtet. »Wieso sagt mir mein Gefühl, daß du weder das eine noch das andere bist?«
Die Antwort kam ohne Zögern: »Weil du meine Freundin bist.«
»Ich würd' gern zuhören, wenn dir nach Reden zumute ist«, schlug Lilian vor.
»Wie wär's mit heut' abend?« Lilian hatte keine so prompte Einladung erwartet. »Wenn du was vorhast, können wir uns natürlich auch 'n andermal zusammensetzen. Es muß ja nicht unbedingt heut' abend sein.« Lilian überlegte einen Augenblick. David würde länger arbeiten und bestimmt nicht vor zehn zu Hause sein. Es gab nichts, was sie zurückhielt, außer ihrer Angst. Aber wovor fürchtete sie sich? Was Beth auch erzählen mochte, ihr konnte das doch nichts anhaben. »Heut' abend paßt's großartig«, sagte Lilian.
21
Als Lilian ihren grauen Volvo in die Einfahrt lenkte, stand die Haustür der Weatherbys schon offen. Sie stieg aus und warf sich den Pullover über die Schultern. In der vorigen Woche war eine Kaltfront über die Stadt hereingebrochen; wie ein ungebetener Hausgast, der plötzlich und unangemeldet mit seinem Gepäck auf der Schwelle steht und sich auf einen längeren Besuch einrichtet. Lilian rannte über den Kiesweg auf den Eingang zu. Beth erwartete sie in der Halle.
»Ich freu' mich ja so, dich zu sehen«, rief sie und nahm Lilian in die Arme.
Lilian küßte Beth auf die Wange. »Du siehst gut aus«, stellte sie fest.
»Jedesmal, wenn ich zugeb', daß ich mich gut fühle, sehen die Leute mich so komisch an, als wollten sie sagen, das sei das letzte, was sie von mir erwartet hätten. Aber lassen wirdas. Komm erst mal rein.« Lilian trat in die Halle, und Beth schloß die Tür hinter ihr. »Lisa wartet im Wohnzimmer. Sie hat uns Tee gekocht.« Beth zwinkerte verschwörerisch. »Tee muß so 'ne Art intellektueller Variante von Hühnersuppe sein. Ein Schluck, und alle Probleme lösen sich in Luft auf.«
»Wär' das nicht schön?«
»Was macht David?« fragte Beth, als sie Lilian ins
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