Ich will vergelten: Thriller (German Edition)
sechs Uhr und Mitternacht aufgehalten haben?«, fuhr Daniels mit ihrer Verhörlinie fort. Aber noch immer bekam sie keine Antwort. Sie versuchte es anders. »Was hatten Sie vor dem Krematorium zu suchen?«
Nichts berührte ihn.
Makepeace war eindeutig in Gedanken ganz woanders.
78
Eineinhalb Stunden Verhör, und nicht ein einziges Wort war über die Lippen des Verdächtigen gekommen. Nach der Begeisterung über die Festnahme kamen Daniels und Naylor mit dem Gefühl aus der Vernehmung, wieder am Anfang zu stehen.
»Er bekommt nur minimal Zeit zum Ausruhen«, sagte Naylor. »Dann versuchen wir es noch einmal.«
»Wir verschwenden unsere Zeit, Chef!«, blaffte Daniels. Sie wollte auf etwas einschlagen. Schreien. Kreischen. Aber wozu? »Hast du diese Augen gesehen? Kalt wie Eis. Man könnte Nadeln hineinstechen, und er würde nicht mal zusammenzucken.«
»Er ist ein harter Brocken, das gebe ich zu.«
»Ja, Jo hat es gemerkt, kaum dass sie ihn nur angesehen hat. Wie sie sagt, er hat die richtige Ausbildung. Nun, wir haben auch die richtige Ausbildung, und wir machen diesen Job schon lang genug, um zu wissen, wann wir verloren haben. Finden wir uns damit ab, dass wir das ohne seine Hilfe tun müssen, wenn wir Jessica Finch finden wollen, tot oder lebendig.«
Sie kehrten zum Beobachtungsraum zurück, um Jo abzuholen. Dann bestellten sie Kaffee und fanden einen gemütlichen Ort, an dem sie sitzen und den nächsten Schritt planen konnten, in dem Wissen, dass es wichtig war, jetzt umzuorganisieren und damit nicht bis zum Morgen zu warten.
Beinahe um halb drei Uhr morgens – und mehrere Tassen Kaffee später – hatten sie sich auf die beste Angriffslinie geeinigt. Sie wollten gerade gehen, als eine ohrenbetäubende Alarmsirene durch das Gebäude hallte, die lauter und lauter wurde, je länger sie erklang.
Daniels fuhr aus ihrem Sessel hoch und steckte den Kopf zur Tür hinaus, um zu sehen, was los war. Mehrere Beamte kamen den Flur hinuntergerannt in Richtung des Zellenblocks. Ihr wurde angst und bange, und sie lief ihnen nach, Naylor und Jo hinter ihr. In dem Augenblick, in dem sie um die Ecke bog, wurden ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Die Tür zu Zelle vier stand weit offen. Ein Durcheinander von Beamten drängte sich im Eingang, sichtlich bestürzt von dem, was sie sahen. Daniels rannte auf sie zu und drängte sich hindurch. Makepeace lag bewusstlos in einer Pfütze von Erbrochenem auf dem Boden, neben sich eine kleine Plastiktüte, die mit menschlichen Exkrementen beschmiert war. Ein Untersuchungsbeamter kniete neben ihm, das Gesicht ungläubig verzogen, völlig ratlos, was zu tun sei. Ein paar Latexhandschuhe hingen lose von seiner rechten Hand. Daniels nahm sie, stieß ihn zur Seite und zog sie über. Sie schrie nach einem Defibrillator und hob Makepeaces Augenlid an.
Das Auge darunter reagierte nicht.
Sie bog seinen Kopf zurück und horchte nach Atem.
Da war keiner.
Jemand gab ihr eine Beatmungshilfe, ein Rohr, das in den Mund eines Verletzten geschoben wurde. Sie wischte Erbrochenes aus Makepeaces Luftwegen und steckte ihm das Rohr in den Mund. Sie drückte seine Nase mit Daumen und Zeigefinger zu – wobei sie versuchte, den Gestank des Erbrochenen zu ignorieren –, nahm einen langen, tiefen Atemzug und blies zweimal hinein. Er atmete immer noch nicht, also begann sie mit der Herzdruckmassage.
»Eins, zwei, drei, vier …« Tränen rannen ihre Wangen hinab, und Schweiß floss ihren Rücken hinunter. »Du stirbst mir hier nicht, du Bastard.«
Naylor und Jo sahen hilflos zu, wie sie eine Viertelstunde lang versuchte, ihn wiederzubeleben, sowohl per Hand als auch mit Elektroschocks, nachdem der Defibrillator angekommen war. Sie hatte nicht vorausgesehen, dass er sich umbringen und ihnen damit alles versauen könnte. Der Mistkerl war auf seine Verhaftung und notfalls auf seinen Tod vorbereitet gewesen, bis ins letzte Detail, hatte das Gift versteckt, von dem er wusste, dass es ohne eine vollständige Leibesvisitation nicht gefunden werden würde.
Daniels wurde sich am Rande Naylors Stimme bewusst, als der den Raum hinter ihr leerte. Und Sekunden später fühlte sie seine Gegenwart dicht bei sich, während sie weiterhin versuchte, das Herz ihres Verdächtigen zum Schlagen zu bringen. Tief in sich wusste sie, dass ihre Anstrengung vergebens war. Ein ersticktes Heulen drang aus ihrem Mund, ein Zeichen von solch erschreckender Qual, dass es Jo erzittern ließ.
»Es reicht, Kate«, sagte
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