Ich will vergelten: Thriller (German Edition)
Naylor leise.
Und weiter hieb Daniels ihre geballten Fäuste auf den Brustkorb des Verdächtigen. »Eins, zwei, drei, vier …«
Ihre Stimme verstummte, Erschöpfung überkam sie.
»Kate, er ist tot!« Naylors Ton war bestimmter als vorher.
Daniels stoppte die Herzdruckmassage und sank zurück auf ihre Fersen, ließ den Kopf niedergeschlagen hängen, und eine Mischung aus Trauer und Wut kam über sie. Jetzt schluchzte sie, nicht wegen Makepeace, sondern wegen Jessica. Sie stand auf, drängte sich wortlos an Naylor vorbei und riss sich im Gehen die Handschuhe runter. Jo folgte ihr hinaus. Sie brachte sie in ein nahegelegenes Büro, schloss die Tür hinter ihnen und hielt Daniels im Arm, bis ihre Wut abflaute.
»Es tut mir so leid, Kate«, flüsterte sie. »Wenn es dich tröstet, ich glaube nicht, dass er dir jemals gesagt hätte, wo er Jessica versteckt hält.«
Daniels zog sich zurück, unterdrückte die Tränen, wobei ihr das Leid ins Gesicht geschrieben stand.
»Ich hoffe, er schmort in der Hölle!«, sagte sie.
Jetzt war der Suchtrupp ihre einzige Hoffnung.
79
Als Daniels noch ein kleines Mädchen war, hatte ihr Vater ihr erzählt, dass der Nebel aus Wolken bestand, die vom Himmel fielen und mit einem Schlag auf die Erde prallten. Und sie hatte ihm geglaubt. Damals hatte sie alles geglaubt, was er sagte.
Sie waren unzertrennlich.
Das war ein ganzes Leben her.
Sie hatte in der letzten Stunde viel an ihn gedacht, als sie beobachtete, wie die Sonne am Horizont über den Minenfeldern der North Pennines aufging, und sie sah, wie klitzekleine Wassertropfen über der Landschaft hingen, während sie darauf wartete, dass Weldon auftauchte. Aber eigentlich war es eine andere entfremdete Vater-Tochter-Beziehung, an die sie dachte, eine, die jetzt nur noch eine geringe Überlebenschance hatte.
Eine kleine Chance war alles, worauf Daniels realistischerweise noch hoffen konnte.
Der Selbstmord war ein weiterer Rückschlag gewesen, mit dem sie zurechtkommen musste. Sie fühlte sich schuldig, dass sie das nicht vorausgesehen hatte. Hatten seine Handlungen nicht vom ersten Tag an nahegelegt, dass Makepeace lebensmüde war, oder zumindest, dass er nichts mehr hatte, wofür er noch leben wollte?
Daniels seufzte, während ihr Blick über die Landschaft glitt. Die Mordkommission war nah dran. Aber nicht nahe genug. Und jetzt standen sie vor einer unmöglichen Aufgabe, mussten diese gefährliche und schwierige Landschaft durchsuchen, mit all den Löchern, Tunneln und sumpfigen Bächen, so weit das Auge reichte. Sie befürchtete, dass die Suche noch Jahre andauern könnte, wie es bei einer anderen am Südende der Pennines der Fall gewesen war. Sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, ob dies hier ihr Saddleworth-Moor werden würde.
Ihr Telefon klingelte, riss sie aus diesem deprimierenden Gedanken.
»Kate?« Es war Hank Gormley. »Geht’s dir gut?«
Er hörte sich besorgt an.
»Geht so. Danke der Nachfrage.«
»Ich bin gerade bei dir zu Hause vorbeigefahren. Konnte dich nicht wach bekommen.«
»Ich bin nicht zu Hause.«
»Was du nicht sagst. Du bist nicht zufällig in Hartside?«
Ein trauriges Lächeln formte sich auf Daniels’ Lippen. Er bezog sich auf ihre letzte Zuflucht, den Ort, wohin sie immer auf ihrem Motorrad entkam, wenn die Dinge daheim oder auf der Arbeit düster aussahen. Ein Ort, der nicht weit entfernt lag – weniger als fünfzig Kilometer von dort, wo sie gerade stand –, wo sie hinfuhr, um in Ruhe nachzudenken.
»Nah dran«, sagte sie. »Ich warte auf Weldon.«
»Du hörst dich an, als hätte ich dir gerade den Laufpass gegeben.«
Daniels lachte.
Und dann weinte sie.
Eine lange Zeit sprach keiner.
»Willst du Gesellschaft haben?«, fragte Gormley schließlich.
»Musst du das fragen?«
»Ich treff dich dann im Büro. Und lass dir nicht so viel Zeit, sonst muss ich mich noch mal rasieren.«
Er legte auf.
Gormley wusste, dass so früh dort oben hinaufzufahren Daniels’ Art war, die Verzweiflung im Zaum zu halten.
Jemand anderes hätte sich krankgemeldet, wäre shoppen gegangen, hätte die Kreditkarte ausgeschöpft oder sich in die Bewusstlosigkeit gesoffen. Aber ihre Methode war Einsamkeit. Und wenn sie dann lange genug allein gewesen war, ihre Gedanken geordnet hatte, dann würde sie schnell zur Sache kommen, positive Schritte unternehmen und weitermachen, ohne sich lange mit der Vergangenheit aufzuhalten.
Hatte sie eine andere Wahl?
Sie konnte nicht zulassen, dass die
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