Ich will vergelten: Thriller (German Edition)
ignorierte vollkommen, was sie soeben erfahren hatte.
»Wer hätte gern eine schöne Tasse Tee? Ich habe wohl meine Manieren vergessen, wo ich doch weiß, dass Sie einen langen Weg hierher hatten.«
Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis Mrs Grainger die Möglichkeit akzeptierte, dass ihre Tochter tot sein könnte, und eine weitere, um ihren Mann davon zu überzeugen, dass sie identifiziert werden musste, obwohl Daniels keine Zweifel hatte. Dann zogen sie ihre Mäntel an und folgten den Detectives aus dem Haus.
Nur Amys Kopf war oberhalb des Lakens zu sehen. Sie war sehr schön, mit bogenförmigen Lippen, makelloser Haut und besonders langen Wimpern. Abgesehen von den durch den Aufprall auf dem Boden geplatzten Adern in ihrem Gesicht hätte sie beinahe in tiefem und friedlichem Schlaf liegen können. Daniels schloss die Augen, als ein ersticktes Wimmern die Luft erfüllte, der Schmerzenslaut einer Mutter, der nicht enden zu wollen schien. Dann brach er so plötzlich ab, wie er begonnen hatte, und der Raum fiel in eine eisige Stille, die beinahe genauso schwer zu ertragen war.
»Sie war die Erste in unserer Familie, die es auf die Universität geschafft hat …« Mr Grainger weinte jetzt, konnte seine Trauer nicht länger zurückhalten. »Sie hat so hart gearbeitet, um dorthin zu kommen, hat nie einen Schultag versäumt. Sie war jedes Jahr Klassenbeste.«
Mrs Grainger beugte sich über ihre Tochter. Sie nahm ihren Kopf in den Arm und begann zu schluchzen, wobei ihr ganzer Körper vor Trauer zu zerbrechen schien. Mr Grainger sah zu, wusste nicht, was tun, wie sich verhalten. Er zog ein Taschentuch aus der Tasche, wischte sich die Augen und gab es dann an seine aufgelöste Frau weiter, wobei er sich bei Daniels entschuldigte.
»Wir würden gern den Ort sehen, den Ort, an dem Amy …«
»Natürlich«, sagte Daniels sanft. »Aber zuerst muss ich Ihnen ein paar Fragen stellen, wenn ich darf. Es eilt nicht. Lassen Sie sich Zeit, und sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie bereit sind.«
Daniels ging zur Tür zurück, wollte nicht stören, wünschte sich, sie könnte sie mit ihrer Tochter allein lassen, wusste aber, dass das nicht geschehen würde. Ein paar Minuten später verließen sie den Aufbahrungsraum und gingen den Flur entlang zu einem ruhigen Raum, der für trauernde Angehörige bestimmt war. Daniels ließ ihnen Zeit, sich zu fassen, bot ihnen Tee an, Wasser.
Sie setzte sich neben sie. »Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Amy?«
»Als sie vorgestern Abend das Haus verließ«, sagte Mr Grainger.
»Am Mittwoch?« Daniels wollte sicher sein.
»Ja.«
»Um wie viel Uhr war das?«
»Um halb acht«, sagte Amys Mutter.
»Wissen Sie, wohin sie wollte?«, hakte Daniels nach. »Mit wem?«
Mrs Grainger sah ihren Mann an. Daniels fing einen schuldbewussten Blick auf ihrem Gesicht auf. Etwas quälte sie. Etwas, das sie nicht sagen wollte, solange ihr Mann mit im Raum war. Er hatte es auch bemerkt.
»Was, Jen? Was ist los?«
Daniels nahm Mrs Graingers Hand. »Ich weiß, wie furchtbar schwer das für Sie beide ist, aber es ist unerlässlich, dass Sie meine Fragen so genau wie möglich beantworten. Wenn ich eine Chance bekommen soll, diejenigen festzunehmen, die dafür verantwortlich sind, Ihnen Amy genommen zu haben, dann müssen Sie verstehen, dass ich ihren Aufenthaltsort in den Stunden vor ihrem Tod erfahren muss.«
Mrs Grainger nickte leicht. »Sie hat den Bus nach Durham City genommen, glaube ich. Ein paar ihrer Freunde wollten etwas feiern. Es könnte ein Geburtstag gewesen sein, ich bin mir nicht sicher.« Mrs Grainger nahm Blickkontakt mit Daniels auf, wobei ihre Stimme stockte. Noch ein schuldbewusster Blick? »Um ehrlich zu sein, ich habe nicht wirklich zugehört. Ist das nicht schrecklich? Was für eine Mutter bin ich? Das letzte Mal, dass meine Tochter mit mir gesprochen hat, und ich … war zu beschäftigt … ich war zu beschäftigt, weil Coronation Street anfing. Sie sagte, es würde nicht spät werden, daran erinnere ich mich noch. Ich glaube, sie hat gesagt, sie hätte am nächsten Morgen ein Seminar.«
»Das stimmt«, nickte Mr Grainger zustimmend.
»Und sie ist nicht nach Hause gekommen?«
Mrs Grainger rang darum, weitersprechen zu können.
Mr Grainger antwortete für sie. »Nein. Zuerst haben wir uns keine Sorgen gemacht, aber dann haben wir erfahren, dass Amy auch nicht bei ihrem Seminar gewesen war. Eine Freundin rief gestern an und hat sich erkundigt, wie es ihr geht. Emma, glaube ich,
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