Ida B ... und ihre Pläne, so viel Spaß wie möglich zu haben, Unheil zu vermeiden und (eventuell) die Welt zu retten
redete, würde das ganze Zeug, das sich in meinem Innern angestaut hatte, aus mir herausbrechen und sich mit einem Schrei befreien, damit es endlich ein bisschen Luft bekam und ein Ohr fand. Es würden lauter kleine schreiende Fetzen von Ida B gegen die Fenster und in die Haare der Vorschul-Lehrerinnen spritzen und auch auf den nicht zum Draußenessen gedachten Butterbroten landen.
»Miss Washington?«, sagte ich.
»Ja, Ida.«
Wir schauten beide unbeirrt weiter nach vorn, sodass niemand denken konnte, wir redeten miteinander.
»Haben Sie schon mal was getan, das Ihnen damals richtig vorkam, aber später doch irgendwie verkehrt schien?«
Miss W. wartete ab. Als ob sie mir genügend Platz lassen wollte, zu Ende zu reden, falls mir noch mit ein bisschen Verspätung irgendwas Wichtiges einfiele.
»Ja, habe ich, Ida«, sagte sie nach einer Weile.
Und wir beide ließen den Trost dieses Satzes sich erst mal ein bisschen bei mir setzen.
Dann fragte ich: »Haben Sie schon mal was gemacht, weil sie richtig böse waren, so böse und traurig, dass sie einfach, um die Situation zu verbessern, irgendwas unternehmen mussten , und das, was sie versucht haben, schien auch zuerst völlig richtig, doch später kam es ihnen irgendwie eher ein wenig verkehrt vor?«
Diesmal wartete Miss W. sogar noch länger. Aber anstatt ihr Abwarten als wohltuend zu empfinden, fragte ich mich, ob sie vielleicht plötzlich merkte, dass sie doch lieber nicht neben so einer sitzen wollte wie mir.
»Ja, habe ich«, sagte sie schließlich, und als ich einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel zu ihr hinüberwarf, sah ich, dass sie traurig wirkte.
Jetzt machte ich eine Pause. Der große Brocken war zwar bereit herauszukullern, doch ich hatte Angst, das Ganze laut auszusprechen, sodass es irgendwer auf der Welt hören konnte und damit wusste, denn dadurch wäre es ja auf einmal wirklich. Aber in meinem Innern rumorte es, und mir war klar, ich musste es sagen, sonst würde als
Nächstes Ida Bs Fleisch-und-Knochen-Konfetti auf den Schulhof regnen.
»Haben Sie schon mal was getan, weil sie so wütend und aufgebracht waren, dass sie innerlich richtig kochten und es unbedingt rauslassen mussten, und zu Anfang schien das auch wirklich eine gute Idee, aber nach einer Weile hatten Sie doch kein so gutes Gefühl mehr dabei? Und was sie getan hatten, also, das... das...« Und in dem Moment schaute ich ganz, ganz fest auf das blaue Haus auf der anderen Straßenseite und sah nicht den kleinsten Schatten von Miss W. in den Augenwinkeln. »… das hat Leute zum Weinen gebracht, und die glauben deshalb, Sie sind gemein?« Meine Stimme stockte und versagte, darum gönnte ich ihr erst mal einen Moment Erholung.
»Dabei wollten Sie überhaupt niemanden verletzen«, fuhr ich ein bisschen leiser fort. »Sie wollten bloß, dass das, was so schlimm war, aufhörte.«
Ich atmete tief durch und schaute nach unten auf meine Schuhe, und alles andere, was noch gesagt werden musste, stürzte jetzt aus mir heraus. »Und als Sie es getan hatten, haben Sie niemandem etwas gesagt, deshalb fühlen Sie sich auf einmal wie ein Spülbecken, das verstopft und mit dreckigem Wasser und Katzenflaum und alten Schnurrhaaren voll ist, und wenn nicht bald jemand den Gummisauger holt, läuft das eklige abgestandene Wasser über den Beckenrand und überschwemmt alles.«
Also, das war so ziemlich die längste Frage, die ich je gestellt hatte, und als ich fertig war, brauchte ich erst mal eine Minute, bis ich wieder Luft kriegte. Aber sobald die Worte raus waren, fühlte ich mich gleich viel besser als in
der ganzen letzten Zeit. Der Raum in meiner Brust, den normalerweise mein Herz ausfüllte, fühlte sich plötzlich wärmer und auch ein bisschen voller an, als er es seit langem getan hatte. Und es gefiel mir.
Aber ich hatte auch immer noch Angst, was wohl Miss W. denken könnte, und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Ich sah sie von der Seite an und machte mir große Sorgen.
Ich beobachtete, wie sie die Ellenbogen auf ihre Knie stützte. Dann legte sie ihre Hände zusammen, dass sie sich gegenseitig umarmten. Ihr Kopf fiel nach unten und sie schob die rechte Schuhspitze vor und zurück, so wie Ronnie.
»Ida«, sagte sie dunkel und langsam wie das Wasser am Grund eines Flusses. »Ich habe etwas getan, das dem sehr nahe kommt.«
Also, ich war ja so erleichtert, dass Miss W. mich verstand und immer noch neben mir saß. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass mein Herz ganz leicht und frei
Weitere Kostenlose Bücher