Idioten auf zwei Pfoten
schimpfen, packte mich die Wut. Wie sagte mein Vater Dom João, 27. immer? Das Wissen ist die Macht der Möpse – und vor allem die Tatsache, dass die Zweibeiner gar keine Vorstellung davon haben, was wir alles wissen.
Denen werde ich es zeigen, Alfonso, ich nutze jede Sekunde, die Madame mich allein lässt, für meine Sprachforschung und bin schon beim Buchstaben P. Du kennst meine außerordentliche Merkfähigkeit. Ich werde täglich besser darin zu verstehen, was die Menschen sagen. Es kommt darauf an, aus ihren Bandwurmsätzen die wirklich wichtigen Dinge herauszufiltern. Manchmal weiß man ja nicht, wann ein Wort aufhört und das nächste anfängt. Seltsamerweise meinen sie, weil ich ein Ausländer bin, müssten sie immer sehr laut sprechen. Dabei sollten sie doch wissen, dass mein Gehör zwei- bis viermal so gut ist wie das ihrige. Und vor allem sollten sie wissen, dass der Gehalt der Sprache nicht automatisch zunimmt, je lauter man sie spricht. Ein »Neinschröderlassdasliegenpfuikommhersitz« hat weder laut noch leise gesprochen einen Sinn.
Und was die Hunde mir erst an den Kopf werfen … Entsetzlich vulgär. Noch spreche ich nicht in dieser harten Sprache, aber der Tag wird kommen, Alfonso – die werden sich wundern! Vor allem meine Madame, die weder die Begabung zum Chef noch zum Gefolgsmann hat. Entschuldige, dass ich an dieser Stelle schon wieder meinen geliebten Pessoa zitieren muss, aber es ist wahr. Der eine wie der andere sollte wissen, welchen Platz er in der Welt einzunehmen gedenkt. Aber Madame weiß gar nichts. Mal will sie dies, dann will sie wieder jenes. Mal darf ich aufs Sofa, mal nicht. Mal darf ich vorne im Auto sitzen, mal nicht. Dann soll ich sitzen, dann soll ich liegen, dann soll ich hinter ihr herlaufen, dann soll ich vor ihr herlaufen. Ja, Himmel noch mal, was denn nun?
Meine Studien sind der Grund dafür, das wirst du verstehen, dass ich nicht dazu kam, mich bei dir zu melden. Ich muss so viel wie möglich über dieses Land, das Leben hier und die Verhaltensweisen lernen. Alfonso, die erste Pflicht des Deportierten ist zu überleben. Und dafür werde ich sorgen. Ich habe in dieser Angelegenheit nach reiflicher Überlegung völlig umgedacht. Offener Widerstand wird vermutlich nicht zum Erfolg führen, wie man am Ausgang einiger Revolutionen ablesen kann. Ich dachte über das Potential eines modifizierten Gandhi nach, und seitdem sieht meine Strategie Folgendes vor: Ich werde es genauso machen wie Geiseln – du ahnst bereits, was ich meine – ein Stockholm-Syndrom. Nur werde ich mich keinesfalls unterordnen, ich werde nur so tun als ob, als stünde ich auf der Seite meines Entführers, also auf der Seite von Madame in diesem Fall. Ich lerne weiter ihre Sprache, wiege sie in Sicherheit, was auch den Vorteil hat, einige Bequemlichkeiten zu erringen, und eines Tages dann, wenn sie glaubt, sie hätte mich in der Hand, wenn sie glaubt, mir vertrauen zu können, wenn sie glaubt, ich würde ihren Befehlen Folge leisten, dann, Alfonso, dann wird sie mich von der Leine lassen … und dann bin ich weg.
Bis dahin nutze ich jede Gelegenheit zur Vorbereitung meiner Flucht. Ich werde mir sämtliche Wege merken, die aus der Stadt hinausführen, und ich werde Vorräte anlegen für den Tag X. Und wozu brauche ich einen Pass? Ich glaube nicht, dass ein Flugzeug das Mittel der Wahl ist, das mich in meine Heimat zurückbringen wird. Zu viele Menschen. Du verstehst?
Du musst dir keine Sorgen machen, Alfonso, sie wird es nicht durchschauen. So klug ist sie nicht. Woher ich das weiß? Sie sieht zu viel fern. Aber nicht die Nachrichten und Dokumentationen, wie mein Vater es immer empfahl. Die gnädige Frau kleistert sich das Hirn mit amerikanischen Serien zu. Aber sie mag, ganz im Gegensatz zur alten Dona Clara, keine Schnulzen – Madame guckt Anwaltsserien und sogar eine, in der ein sympathischer Serienmörder die Hauptfigur ist. Jede Folge ein Blutbad, so dass mein Jagdtrieb sicht regt, sag ich dir, obwohl man als kluger Mops genau weiß, dass im Fernsehen nichts echt ist. Madame gruselt sich auch furchtbar, und dann kann sie nicht schlafen und geistert die halbe Nacht durch die Wohnung. Ich würde lieber mit meinen Studien fortfahren, muss aber so tun, als schliefe ich, um sie nicht misstrauisch zu machen. Das Gute an den Menschen ist, dass sie so ein schlechtes Gehör haben und normalerweise die Angewohnheit durchzuschlafen. Bei Madame ist es sogar so, dass sie morgens sehr lange
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