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Idioten auf zwei Pfoten

Idioten auf zwei Pfoten

Titel: Idioten auf zwei Pfoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edda Minck
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nicht enden wollendes Waterloo.
    19. Oktober
    Alfonso, mein Freund, ich habe mich entschlossen, dich weiterhin an meinem Leben teilhaben zu lassen. Was soll ich auch sonst machen? Ich habe mich so daran gewöhnt, dir meine Gedanken zu widmen. Und ist es nicht besser, den letzten Strohhalm, den das Leben bietet, fest in der Hand zu behalten? Würde ich aufhören, dir zu berichten, wüsste ich, dass auch das allerletzte Band, das mich mit meiner Heimat verbindet, zerrissen wäre. So kann ich mir vorgaukeln, dass am anderen Ende der Welt jemand ist, den meine Existenz und mein Schicksal nicht unberührt lassen.
    Der Herbst rauscht mit Riesenschritten heran. Scooter ist nicht da. Er verschwand zwei Tage nach dem Tag der toten Ente. Seine Familie hat das Land verlassen und ihn mitgenommen. Sie nennen es Urlaub. Du weißt schon, die Zeit, in der die Touristen-Pinkel unser Land überfluten und uns Gott weiß was über ihr Leben erzählen. Ich weiß besser denn je, dass sie allesamt Lügner sind. Na ja, nicht ganz – aber ihre Welt ist eine andere. Weißt du, mein Freund, ich habe neuerdings sehr viel Zeit, ungestört meinen Gedanken nachzuhängen, und mir wird immer deutlicher, dass die Welt ein einziges Chaos ist. Wie das kommt? Ich habe festgestellt, dass es nicht nur eine Wirklichkeit gibt. Meinst du nicht, dass einem schwindelig werden könnte ob der Tatsache, dass sich alle in ihrer eigenen Realität befinden? Manchmal stecken sie ihre Köpfe zusammen, vergleichen ihre Illusionen und sind sehr glücklich, wenn sie sich ähneln. Mehr scheinen sie vom Leben nicht zu verlangen.
    Wie Pessoa so treffend beschrieb. …  Ich   schleppe mich dahin zu tun, was ich nicht will, und zu erträumen, was ich nicht haben kann. Absurd, wie eine stehengebliebene, öffentliche Uhr.
    Dieser Satz ging mir nicht mehr aus dem Kopf, und als ich Scooter vor seiner Abreise ein letztes Mal traf, war mir die Schwermut wohl deutlich am Gesicht abzulesen, denn er fragte mich rundheraus: »Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
    Ich habe ihm erzählt, was passiert ist. Ohne etwas zu beschönigen oder zurückzuhalten. Ich hatte erwartet, dass er über mich lachen würde. Aber das hat er nicht getan. Er hat nur gesagt: »Verstehe. Das ist hart. Vor allem, meine Stimme in deinem Kopf – aber Spaß beiseite. Sieh es mal so – du kannst noch mal ganz von vorn anfangen. Ist der Ruf erst ruiniert …«
    »Und wenn die Madame mich morgen zurück ins Gefängnis bringt?«
    »Dann kannst du dich immer noch dem nächstbesten Pitbull vor die Füße werfen und ihn anflehen, dir die Kehle durchzubeißen.«
    Scooter und seine Scherze – aber irgendwie hatte er ja Recht. Was konnte denn jetzt noch Schlimmeres passieren, als sowieso schon passiert war?
    »Ich verstehe bis heute nicht, warum sie mich überhaupt aufgenommen hat, Scooter. Sie weiß nicht, mit wem sie es zu tun hat, und ich weiß nicht, mit wem ich es zu tun habe. Wir sprechen einfach nicht dieselbe Sprache. Unsere Illusionen sind nicht kompatibel.«
    »Häh?!«
    »Egal. Es passt einfach nicht, aus den verschiedensten Gründen.«
    »Ja, und einer davon bist du. Es ist doch ganz einfach: Die Menschen nehmen uns aus sentimentalen Gründen auf. Sie mögen unsere Pelzigkeit, weil wir sie an ihre Stofftiere erinnern. Sie formulieren es etwas anders, allerdings. Sie nennen es Liebe.«
    »Aha?!«, hatte ich geantwortet, aber ich war nicht im mindesten beruhigt. Nach allem, was man über die Menschen weiß, haben sie aus »Liebe« schon Gott weiß was für Katastrophen angezettelt.
    »Und weißt du was, João?«, fuhr Scooter fort, »Die Menschen vergessen schnell, besonders die schlechten Dinge. Noch ist nicht alles verloren. Noch hat sie dich nicht ins Gefängnis gebracht. Sei nett zu deiner Madame, tue Buße, und versuch wenigstens ab und zu, die Klappe zu halten, das wäre schon mal ein Anfang. Und was Ginger betrifft – mein Gott, Frauen! Du hast wohl vergessen, dass dir zwischen deinen Beinen was Entscheidendes fehlt. Wozu also die ganze Aufregung? Wir sehen uns in ein paar Wochen wieder. Ich fahre in den Urlaub.«
    Alfonso, ich schluckte auch diese Kröte. Nie sollst du so tief sinken, von dem Kakao, durch den man dich zog, auch noch zu trinken. Diese Weisheit ist weder von meinem Vater, El-Rei Dom João 27. , noch von meinem Urgroßvater, Camôes III. Das sagt der alte Oliveira immer, wenn sich die Leute über ihn und sein Kugelschreibermuseum lustig machen.
    Ich versuchte also

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