Idioten auf zwei Pfoten
einer verfehlten Pflanze, nurmehr Moos, das auf der Oberfläche des Lebens wächst …
Ich habe von Ginger geträumt. Ich hoffe immer noch, dass sie mir verzeihen kann.
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Das Leiden, an dem ich leide, ist namenlos und deswegen noch weit grausamer als alles, wofür man Worte hat. Es ist nicht spitz und auch nicht stumpf. Nicht hell und auch nicht dunkel. Es ist das allumfassende Leiden, das Leiden am Leid, das mich zu Boden drückt, mir den Willen raubt und das letzte Molekül von Freude aus dem Körper presst. Es ist von solcher Macht, dass es mir gar die Zuversicht auf baldige Erlösung raubt. In diesem Zustand ist mir das Leben endlos zuwider. Wie hätte ich auch nur ahnen können, dass das Wissen darum, wie die Dinge wirklich sind, einer schweren Krankheit gleichkommt, mit der man nicht leben, aber auch nicht sterben kann.
…
Alfonso, mein Freund. Endlich ist es so weit. Der Himmel lässt Gnade walten. Ja, ich werde emporgehoben. In rasender Fahrt trete ich meine letzte Reise an. Wie wunderlich – ich kann die großen Vögel hören, sie lassen ihr dröhnendes Geschrei hören, bevor sie auf die Erde niedergehen. Ich kann sie hören, die Himmelsboten, die die verlorenen Seelen unter ihre Schwingen nehmen. Oder sind es die Aasgeier, die nach den letzten zerlumpten Überresten meiner Materie gieren, die zurückzulassen ich gezwungen sein werde?
…
Da ist ein grelles Licht, das aus dem Dunkeln auftaucht. Es funkelt und strahlt, einladend und doch so gleißend, dass man die Augen wieder schließen muss. Große Tore öffnen sich lautlos, schwebend, ohne Hast. Bist auch du hindurchgeschritten bei deinem letzten Gang? Warum ist es plötzlich so laut, Alfonso? Woher kommen all die Geräusche – das Murmeln, mal mehr oder weniger stark anschwellend, wie ein zorniger Bach, der sich nach einem starken Regen durch ein zu enges Rohr presst. Musik setzt ein. Sie scheint aus dem Nichts zu kommen; aus dem Äther entwichen, schwebt sie im Raum. Ich höre Glockengeläut. Mit letzter Kraft und allem Mut, den ich noch finden kann, öffne ich mein Auge, weil mir dein tapferes Herz zum Vorbild ist. Ich will alles furchtlos anschauen und aufnehmen, was die letzte Sekunde für mich bereit hält. Tausend Lichter blenden mich. Geschmückte Bäume sehe ich, riesengroß, behängt mit goldenen und kirschfarbenen Kugeln. Sie stehen alle paar Meter bereit – muss man sich entleeren, bevor man in die Ewigkeit eingeht? Ich fürchte, ich phantasiere. Denn da ist wieder Musik, heiter und getragen, eine Stimme engelsgleich … Ein Mann in einem blutfarbenen Anzug mit Kapuze schwebt an mir vorbei. Er zupft an seinem langen Bart. Er trägt schwer an einem dicken Rucksack, und er schwitzt. Die Menschen weichen vor seinem »Ho, Ho«, das er beständig ruft, zurück. Noch mehr Türen öffnen sich. Menschen laufen herum. Suchen sie die armen Seelen ihrer Freunde wiederzufinden? Hoffen auch sie, dass sie erwartet werden? Alfonso, hast du Fernando Pessoa getroffen? Wer, wenn nicht er, sollte im Himmel bei dir sein.
Was sagst du, Alfonso?
Ich schüttele ungläubig den Kopf, denn ich kann es kaum fassen, dass ich deine Stimme hörte. Warum ist Miss Boss bei mir und hält mich in ihren Armen? Wir stehen vor dem größten Portal von allen. Weiß sie, Alfonso, dass du kommen wirst, um mich abzuholen? Sie muss es wissen. Sie begleitet mich bis hierher. Sie ist es, die meine Pfote hält, bis der letzte Atemzug getan ist. Und noch jemand ist da. Der alte Brezel. Geduldig hockt er neben uns, seinen Blick gespannt auf das große Tor gerichtet. Auch er scheint keine Angst vor dem zu haben, was uns jetzt erwartet. Er runzelt die Stirn. Eine körperlose Stimme unterbricht die Musik – jetzt werden wir zu unserer letzten Reise aufgerufen.
Das Tor öffnet sich. Ich blinzele. Madame … überschreitet die Grenze, die die Toten von den Lebenden trennt. Wie kann denn das sein? Sie schiebt eine Karre vor sich her, auf der eine riesige Kiste steht. Bist du da drin, Alfonso? Ist das dein Gemurmel, das ich höre? Ich winde mich aus den Armen, die mich endlich freigeben, rutsche auf dem blanken Boden aus, rappele mich wieder auf, um dir entgegenzulaufen. Alfonso, mein Freund, du bist da. Du bist es wirklich. Du hast mich gerufen.
Madame öffnet die Kiste, und dann … stehst du auf einmal vor mir in voller Größe. Du stehst auf drei Beinen und wankst wie ein Blatt im Wind hin und her. Aber du bist da. Endlich da.
»Ist er es?«, fragt Brezel und holt mich
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