Ifenfeuer: Allgäu-Krimi (German Edition)
konnte er nur mühsam im Zaum halten, vor allem beim Essen hatte er Schwierigkeiten. Auf der Straße redete er wahllos auf Leute ein, auch auf solche, die er nicht kannte. Er erzählte scheinbar wirres Zeug, das zum Teil seiner Erinnerung entsprang, zum Teil aber auch frei erfunden schien. So war er allmählich bei den Talbewohnern in den Ruf geraten, im Oberstübchen nicht ganz gescheit zu sein, und sie machten einen Bogen um ihn. In seinen schwarzen Augen aber loderte ein Feuer, das niemand bei ihm vermutet hätte. Wenn er sich in Rage redete, konnten sie glühen, und die Leute wandten sich schleunigst ab, sobald er sie ansah. Er wurde zum Einsiedler, bekam jedoch von den Bewohnern im Tal, in Erinnerung an seine frühere Tätigkeit, immer Essen, Medikamente und andere Dinge zugesteckt. Er galt als sehr belesen, in seine einstigen Predigten hatte er sein großes geschichtliches Wissen immer wieder einbringen können.
Als »dr Aniser«, wie er nur noch genannt wurde, an diesem Morgen in die Polizeiinspektion kam, hatte er bereits einen langen Fußmarsch hinter sich. Auch wenn er Abkürzungen benutzte, war der Weg von Wäldele nach Hirschegg ziemlich weit. Bevor er das Büro betrat, setzte er sich daher auf eine Bank, die für Besucher bereitstand, und verschnaufte erst einmal. Dann stand er auf, klopfte und trat ohne weitere Aufforderung ein.
»Gottes Gruß am Morgen!«, sagte er und sah sich um. Im Augenblick waren nur zwei Polizisten im Raum, die ihn neugierig anstarrten. Der Aniser hier? Das war ja was ganz Besonderes!
Einer der beiden stand auf und trat an den Tresen. »Guten Morgen, Herr Aniser! Was kann ich für Sie tun?«
Der Alte breitete die Arme aus und rief: »Und ich sage euch, es wird Feuer und Wasser kommen und alles verschlingen! Die Berge werden stürzen und die Täler sich füllen, und von den Menschen wird nur ein Rest überleben … Das war schon vor siebentausend Jahren so, und im Mittelalter, und jetzt kommt es wieder … Nicht die Pest wird es diesmal sein, nicht nur die Urgewalt der Natur, denkt an die Weissagungen der Maya, sondern die Menschen selbst tragen zum Verderben bei … Und dort oben hat es schon begonnen, so wie es vor langer Zeit begonnen hatte und noch länger davor bei Kain und Abel!« Aniser zeigte in eine unbestimmte Richtung nach oben. So wie er dastand, die Arme ausgebreitet, das Haar wirr, den Kopf erhoben und mit glühenden Augen, sah er aus wie ein Prophet aus dem Alten Testament.
Der Polizist wich etwas zurück und wiederholte unsicher seine Frage: »Was kann ich für Sie tun?«
»Du, mein Sohn, kannst gar nichts tun. Es müssen andere kommen, die damit umgehen können. Es wird endlich Zeit, dass Aufklärung geschaffen wird über diesen mystischen Ort, der nur darauf wartet … Denkt daran, ich kann euch helfen, aber ihr müsst den Richtigen schicken!« Damit senkte er seine Arme, machte kehrt und marschierte zur Tür hinaus, die er offen ließ.
Der zweite Polizist, ein junger Anfänger, prustete los. »Herrgott no mal, was war des jetzt?«
Seine Kollege zuckte mit den Schultern. Er kannte Aniser und wusste um dessen wirre Reden, die manchmal gar nicht so wirr waren, wenn man sie zu deuten verstand.
»Der isch ned so bled, wie er sich ahört«, meinte er nur und überdachte die Szene von eben. Was meinte Aniser wohl mit dort oben? War der Himmel gemeint, waren es die Berge, war es ein bestimmter Platz? Er musste das mit Florian Berger besprechen, wenn dieser wieder zurück war.
Er machte sich ein paar Notizen und legte den Zettel mit dem Hinweis »bR« auf Bergers Schreibtisch.
9 Hauptkommissar Wanner erstattete am nächsten Morgen seinen Kollegen Bericht darüber, was am Tag zuvor passiert war. In der Nacht war er, als er eine Weile wach gelegen hatte, noch mal die ganze Geschichte durchgegangen. Man hatte zwar eine Tote, aber es war noch völlig ungewiss, ob sie durch einen Unfall oder Fremdeinwirkung ums Leben gekommen war. Sie konnte ja auch, bei einem neugierigen Blick in das Hölloch, das Übergewicht bekommen haben oder ausgerutscht und hineingestürzt sein. Hoffentlich brachte die Obduktion bald ein eindeutiges Ergebnis, dann würde man weitersehen. Im Augenblick wollte er die Ermittlungen noch nicht voll in Gang setzen, vielleicht brauchte man sie ja nicht, und dann wäre alle Arbeit umsonst gewesen.
Eva Lang und Alex Riedle hörten sich Wanners Bericht an. Im Prinzip waren sie seiner Meinung, erst einmal die Obduktion abzuwarten.
»Aber«, so
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