Igor der Schreckliche
indem sie fest auf ihre Zähne beißt. Schritte. Lara hechtet auf ihr Bett und schlägt ein Buch auf.
„Lara, wir fahren jetzt. Hab keine Angst, wir kommen bald zurück! Und Emil ist da!“
Lara sieht vom Buch auf und nickt. „Viel Spaß auf der Feier! Gute Nacht!“ Lara gähnt einen unechten Gähner. Er wirkt jedoch echt.
„Na, da ist jemand müde! Schlaf gut!“ Mama geht.
Als Lara das Auto wegfahren hört, packt sie den Rucksack: Taschenlampe, Taschenmesser, Decke, Cola, Kekse. Und Knoblauch.
Eine geschlagene Stunde sitzt Lara an ihrem Baum auf dem Friedhof und es tut sich nichts. Anfangs war ihr schon ein klitzekleines bisschen gruselig zumute. Jetzt ist sie ein wenig genervt, weil nichts geschieht. Was macht man nicht alles, um einen echten Vampir kennenzulernen!
Nach weiteren dreißig langweiligen Minuten wetzt Lara unruhig hin und her. Ihre Eltern bleiben nie lange auf Feiern. Sie müssen morgens in den Stall. Kann sich Igor nicht beeilen? Just in diesem Moment hört Lara ein Geräusch. Es kommt aus der Richtung von Irmgards Grab. Lara versteckt sich hinterm Baum. Dem Himmel sei Dank, dass sie gleich zu Beginn die Knoblauchzehe als Kette präpariert hat.
Vorsichtig und kaum atmend lugt sie zu Irmgards Grab. Der Mond erleuchtet es ungenügend. Sie erkennt nichts. Dafür vernimmt sie ein schweres Knarzen, als ob irgendetwas geschoben würde. Ihr stockt der Atem. Sie erkennt eine stattliche Gestalt mit Kapuze. Wie ein Henker! Das ist nicht Igor! Ihr Herz klopft heftiger.
Die Gestalt schnüffelt in der Luft. „Kurios. Auf unserem Friedhof riecht es nach Mensch. Komm her, Mensch, zeig dich!“, ächzt sie. Die Worte hallen schauderhaft durch die dunkle Nacht.
Lara hört die Fußsohlen der Gestalt auf den Kieselsteinen einsinken. Sie presst sich an den Baum. „Bitte! Bitte! Hau ab! Lass mich in Ruhe!“, sagt Lara tonlos.
KAPITEL 17
Es gibt sie doch!
„Ivan!“, ruft jemand.
Lara klebt stocksteif am Baum.
„Begleitest du mich?“
„Gerne, Vater!“
Lara sieht am Himmel zwei Gestalten davonschweben. Sie wartet ein winziges Weilchen, ehe sie nach Hause rast. Ihr Blut prescht in einem Affenzahn durch ihren Körper. In ihrem Zimmer angekommen stemmt sie atemlos ihre Arme gegen die Tür. Sie hört ein Auto auf den Hof fahren. Mama und Papa sind zurück! Blitzartig reißt sie sich die verschwitzen Klamotten vom Leib, zieht ihren Schlafanzug an und hechtet ins Bett. Leise klopft es.
„Ich habe Licht gesehen“, sagt Mama. „Du bist ja total verschwitzt!“
„Es ist so heiß!“, meint Lara.
Mama nickt. „Stimmt. Morgen suche ich den Ventilator.“ Mama öffnet das Fenster. „Schlaf gut!“
Lara blickt das Bild von Großvater an. „Du hattest recht, Opa! Ich habe Vampire gesehen! Heute Nacht! Das bedeutet, dass Igor ein Vampir ist! Irre, oder?“
Was für ein Tag! Sie denkt an Igors Brief. Sie muss ihm antworten. Jetzt. Und den Brief morgen gleich nach der Schule zum Friedhof bringen!
Lara setzt sich auf, schnappt sich ihren Block und beginnt zu schreiben. Sie berichtet Igor in aller Ausführlichkeit, was soeben auf dem Friedhof geschah und dass sie ihm glaube, dass er ein Vampir sei. Das Schreiben beruhigt sie.
Doch ein paar hässliche Gedanken breiten sich in ihren Kopf aus: Ob Igor gemein ist? Ob er Menschen beißt und ihr Blut trinkt? Lara spürt, wie sich die Gänsehaut auf ihren Armen ausbreitet.
KAPITEL 18
Die Nacht der Nächte
Lara schläft kaum. Die ersten zwei Schulstunden sind eine Qual: Mathe. Zwei Stunden Mathe bei Herrn Lang-Heine sind pure Folter.
Lang-Heine, Lang-Heine, der hat lange Beine. Lang-Heine, Lang-Heine sorgt für Langeweile!
Dieses Lied kennt in der Schule jeder, Direktor Wünsche nicht ausgenommen.
Lara hat keine Hausaufgaben gemacht. Die Aufgaben versteht sie auch nicht. Hoffentlich schreibt er keinen Test! Und hoffentlich muss sie nicht an die Tafel!
Sie hat Glück. In allen Punkten frei gesprochen.
„Lara!“ Bille stupst sie an und deutet auf Lang-Heine. „Er beobachtet dich!“ Lara guckt herum. Alle Schülernasen kleben auf den Mathebüchern. Bille schlägt ihr die Seite auf, deutet auf Aufgabe Nummer Fünf. „Was ist los mit dir?“
Lara kann Bille nicht antworten. Lang-Heine steht vor ihnen. Stumm starrt Lara die Aufgabe an. Sie liest sie wieder und wieder und versteht mit jedem Mal weniger. Weil Mathe nicht ihre Stärke ist. Und weil sie unentwegt an den Friedhof denken muss. Der Gong zur kleinen Pause ist die ersehnte Rettung. Lara
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