Igor der Schreckliche
gezogen. Die Mädchen beobachten, wie sie sich vor das Grab kniet und nach etwas greift.
„Der ist kein Erwachsener. Viel zu klein!“, haucht Lara. Sie kaut auf ihrer Unterlippe. „Das muss Igor sein!“
Bille hält den Finger vor den Mund. Lara tritt auf einen Ast. Er bricht. Bille quiekt auf, die Gestalt hört es nicht, denn sie legt etwas in ein Buch. Das ist Igor!
Mit einem Satz springt Lara aus ihrem Versteck.
„Lara, nein!“, ruft Bille.
Die Gestalt dreht sich um.
Lara steht hinter ihr und packt sie. „Hab ich dich, du Halunke, du Tagebuchdieb!“
„Lara? Bist du Lara, das Menschenmädchen?“
Sie nickt. „Du bist Igor!“ Lara wendet sich zum Baum. „Bille, er ist es!“
Bille schleicht zu Lara.
Igor packt die beiden an den Armen und zerrt sie hinter den Baum. „Seid ihr verrückt? Die Blutsauger können jederzeit emporsteigen! Und ihr wärt ein nettes Amuse-Gueule!“
„Hä?“
„Ein kleines Häppchen, bevor der Hauptgang kommt“, erklärt Igor den Mädchen.
„Und für dich sind wir kein Amüsgöll?“
Igor schüttelt den Kopf.
„Warum nicht?“, will Bille wissen.
„Das erkläre ich euch ein anderes Mal. Ich hab nicht viel Zeit! Hier!“ Igor drückt Lara einen Brief in die Hand und verschwindet. Kurz bevor er absteigt, sagt er: „Ich höre sie kommen! Lauft um euer Leben!“
Kapitel 19
Victor
der Verständnislose
Erleichtert darüber, dass erneut das Glück auf seiner Seite war und er nicht erwischt wurde, sucht Igor zunächst den Unheimlichen Wald auf. Er lehnt sich gegen einen Baumstamm und versucht sich zu beruhigen. Obwohl er fast sicher sein kann, dass ihn niemand entdeckt hat, poltert Igors Herz aufgeregt. Endlich hat er Lara kennengelernt.
Unweigerlich muss er grinsen. Lara ist tough, mutig und nett. Eine ideale Freundin. Ob sich zwischen den beiden eine Freundschaft entwickeln kann? Hoffentlich!
Eines aber ist seltsam. Igor hatte Schritte gehört. Doch er hat niemanden gesehen und auch nichts vernommen, als er in die Vampirwelt zurückgekehrt war. Ob Lara und Bille seinen Rat befolgt haben?
„Ich grüße dich, Igor!“ Victor reißt ihn aus seinen Gedanken.
„Vic, mein Guter!“, begrüßt ihn Igor. „Wollen wir Menschenerschrecken spielen?“ Victor verneint. Sein Blick verrät Igor, dass etwas nicht stimmt. „Fühlst du dich unwohl?“, fragt Igor.
„In gewisser Weise.“
„Magst du dich mir anvertrauen?“
Vics Augen funkeln. „Ich denke vielmehr, mein guter Igor, dass du dich mir anvertrauen solltest.“ Igors Herzschlag galoppiert augenblicklich los.
„Was willst du damit andeuten, Vic?“ Igors Wangen glühen.
„Igor. Ich habe dich in der Verbotenen Zone gesehen. Du kennst das Passwort. Und du warst oben.“
Der dicke Kloß in Igors Hals wird größer. Leugnen ist zwecklos. Igor schweigt und Vic ergreift das Wort. „Igor, mein Guter, du bist mit den Gesetzen vertraut! Denke an deine Familie! Deine arme Mutter!“
„Du weißt, dass ich die Menschenwelt kennenlernen will!“, verteidigt sich Igor. „Und von einem treuen Freund erwarte ich Verständnis!“
„Ein guter Freund weist dich auf deine Fehler hin! Du bringst dich in Gefahr und deiner Familie entsetzliche Schande!“
Igor trifft ein klarer Geistesblitz. Vic und er befinden sich nicht auf der gleichen Ebene. Sie haben unterschiedliche Einstellungen zum Leben und unterschiedliche Vorstellungen vom Leben. Vic wird ihn niemals verstehen können.
„Und als guter Freund“, fährt Vic fort, „unterbreite ich dir einen wohlgesonnenen Vorschlag. Ich verrate dich nicht. Obwohl ich dazu verpflichtet wäre.“
Igor sollte ihm die Meinung sagen, nämlich, dass Vic ein Heuchler ist! Vic ist es, den Igor gehört hat! Vic hat ihn verfolgt! Und auch Vic müsste sich vor Gericht verantworten! Doch Igor schweigt. Ob Vic das Gespräch mit den Mädchen belauscht hat?
„Du wirst mir bei Graf Dracula versprechen, dass du dich nicht mehr in die Menschenwelt begibst. Falls du dieses Versprechen brichst, verrate ich dich.“
„Ich könnte ihn auch verraten“, überlegt Igor. Allerdings hat er keine Beweise.
Ob Vic welche hat? Igor glaubt nicht, dass Vic ihn ans Messer lieferte. Das täte er seiner Mutter, Madame Aurelia, nicht an. Um das Gespräch zu beenden und seine Ruhe zu bekommen, stimmt Igor dem Versprechen zu, obgleich er weiß, dass er es nicht halten wird. Wieder einmal. Igor denkt an Onkel Temerar. Er bat ihn darum, nicht nach oben zu gehen.
Sie hören die Uhr schlagen.
„Ich
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