Ihr Kriegt Mich Nicht!
war voller beschissener Steine. Jasack würde verfaulen, bevor das hier geschafft war. Steine und noch mal Steine. Miks Körper schmerzte. Die Blasen an den Händen schwollen an und platzten auf. Mik machte eine Pause, trank Wasser aus einer Plastikflasche und sah zur Sonne. Das Licht schimmerte durch das Wasser. Er stand in dem Grab, und oben kreisten die Geier und warteten auf seinen Tod. Sie segelten mit ausgespannten Flügeln. Mik zog das T-Shirt aus, band es sich um den Kopf und grub weiter. Der Schweiß floss. Der Spaten traf einen großen Stein, Mik kniete nieder und scharrte ihn frei, bis seine Fingernägel abbrachen. Das Grab musste anständig aussehen, mit schön geraden Kanten. Und tief, damit der Hund sich nie wieder in diese Welt heraufwagte.
Ein Schatten fiel auf Mik herab.
»Hallo dort unten im Grab!«
Niklas stand oben im Gegenlicht. Er hielt das Gewehr in der Hand.
»Guck mal, was für einen bescheuerten Vogel ich geschossen hab. Dick und scheußlich.«
Niklas hielt ihn an den Beinen hoch, sodass die Flügel wie an einem umgedrehten Kreuz nach außen hingen.
»Er hockte hoch oben in einem Baum und war sofort tot. Ein sauberer Schuss.«
Er warf den Vogel ins Grab, Mik zu Füßen. Der Vogel hatte einen großen Kopf und gelbe Augen. Der Körper war braun mit weißen und schwarzen Querstreifen über der Brust. Es war eine Sperbereule.
Mik warf den Spaten weg, kletterte aus dem Grab und rannte auf den Wald zu.
Die Gleise glänzten in der Sonne, die Luft flimmerte über dem Bahndamm. Er war außer Atem, und sein Herz trommelte wie wild.
Der Geldbeutel der Papageienfrau enthielt vierhundertfünfundzwanzig Kronen. Er nahm das Geld und schleuderte den Geldbeutel tief in den Wald.
Der Bus hielt auf dem kleinen Dorfplatz. Die Bremsen zischten, und die Türen gingen auf. Mik war der Einzige, der ausstieg. Gepäck hatte er keines.
»Gar nichts?«, fragte der Fahrer, der bereits die Gepäckklappe geöffnet hatte.
»Nein, gar nichts«, sagte Mik und sah sich um. »Aber ist das hier tatsächlich Selet?«
Birken voller Laub, Rasen und Blumenbeete – alles war ihm fremd.
»Du bist schon richtig. Wirst du denn nicht abgeholt?«
»Ich komm schon klar.«
Der Fahrer stieg in den Bus, schloss die Türen und fuhr ab.
Das Schild über dem Konsumladen war verschwunden, aber das Wort Konsum war immer noch als helle Geisterschrift an der Hausfassade sichtbar. Ein Auto fuhr vorbei, ein Rasenmäher startete. Mik sah sich um, voller Angst vor Verfolgern, vor Bluthunden, die auf seiner Spur waren, vor Veder und Kader. Aber der Platz war leer. Er lief an der Schule vorbei und kam auf die Brücke. Der Fluss glitzerte im Gegenlicht. Das Wasser strömte leicht dahin, Fische schnalzten an die Oberfläche. Weit hinten an der Flussbiegung angelte jemand. Ein zappelnder Fisch flog durch die Luft.
»RRR-WAU!«
Gustavssons Hund stand vor ihm und knurrte mit gesträubtem Rückenfell. Mik schaute ihm fest in die Augen und sagte: »Sei still!«
Der Hund wurde ganz verwirrt.
»Sitz!«
Er setzte sich.
Lenas Haus war eingebettet in lauschige Bäume. Blumenbeete säumten den Kiesweg zur Haustreppe. Das Gras stand hoch und verwildert. Mik ging einfach hinein. Lena saß am Küchentisch und sortierte Tabletten in die Dosierschachteln der Brüder Selström. Sie hob den Kopf.
»Mik?«
»Ja.«
»Aber …?«
Und dann lächelte sie und breitete die Arme aus.
Mik fing an zu weinen, sein ganzer Körper bebte. Er stürzte aufsie zu, und sie drückte ihn fest an sich. Wärme stieg in ihm auf, sein Körper erschlaffte und wurde weich, als wären seine Knochen geschmolzen.
»Herrje, bist du dreckig!«
»Ich komm direkt aus dem Grab.«
FÜNFTER TEIL
DAS FLOSS
EIN HELD
Lena tischte Frühstück auf. Mik aß ein Käsebrot nach dem andern. Tunkte sie in heiße Schokolade, damit der Käse schmolz und Fäden zog. Plötzlich stand Pi in der Küche. Sie lächelte, war verändert. Irgendwas fehlte. Das blaue Muttermal auf der Wange war verschwunden. Auf ihrem braun gebrannten Gesicht war nur eine leichte Röte zu erkennen.
»Das Muttermal ist weg«, sagte Mik.
»Gut, oder?«
»Ich weiß nicht, sieht irgendwie leer aus.«
Pi lachte, setzte sich und nahm sich ein Käsebrot.
»Woher hast du gewusst, dass ich hier bin?«, fragte Mik.
»Alle wissen, dass du hier bist. Ich hab dich gestern auf der Brücke gesehen und hab gewinkt, aber du hast nicht zurückgewinkt.«
»Dann warst du das, die unten am Fluss geangelt
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