Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
gegeben hatte. So oder so, Courier interessierte ihn nicht. Es beschäftigte ihn mehr, dass Reverend Julian Chard zu dem Suchtrupp gehörte. Ohne den Vikar der St. Mary’s Church je direkt an zusehen, war ihm doch jede Bewegung des Mannes bewusst. Und bald ging diese Bewegung in seine Richtung. Reverend Chard ergriff seine Hand fest mit beiden Händen, schüttelte sie nachdrücklich und blickte Jonas unverwandt ins Gesicht.
»Es ist ja so schön, Sie wieder hierzuhaben, Jonas. Wie geht es Ihnen?«
Jonas konnte ihn kaum ansehen. Nicht ohne das Gesicht des Vaters des Reverends vor sich zu sehen, die tiefen, mit Blut vollgelaufenen Höhlen seiner toten Augen. Der Killer hatte in Jonas’ Zuständigkeitsgebiet zugeschlagen, und doch stand Lionel Chards Sohn jetzt hier, hielt seine Hand und freute sich, dass er wieder da war. Vergab ihm.
Natürlich, das war sein Beruf. Er war ein Mann Gottes; was konnte er anderes tun?
Jonas wusste, was er getan hätte. Er nuschelte irgendetwas, was anscheinend der Konvention Genüge tat, und Reverend Chard nickte, lächelte und klopfte ihm auf die Schulter, als sie weitergingen.
Sie begannen im Ort selbst – überprüften Schuppen und Nebengebäude und Kohlenkeller – und zogen dann nach Nordwesten über Wiesen und durch Höfe und Ställe und Heuschober und Melkschuppen. Die Leute kamen heraus und halfen mit, solange sie in der Nähe ihrer Häuser waren, und dann winkten sie ihnen nach und wünschten ihnen viel Glück, wenn sie weitergingen – als wären sie Soldaten, die in den Krieg zogen und kein kleiner, zunehmend verschwitzter Suchtrupp. Jim Courier zog seine Uniformjacke aus und hängte sie sich über die Schulter, und Jonas tat es ihm nach.
Als sie aufs Heideland hinaufstiegen, blinzelte Jonas in die Sonne. Es schien Jahre her zu sein, dass er ihre Wärme auf seinem Gesicht gespürt hatte – Jahre, seit sie durch die Schichten seiner Haut gedrungen war, um sein Innerstes zu wärmen. Dabei musste er an längst vergangene Sommer denken und an den sauren Geschmack der Äpfel, die er von den knorrigen Bäumen auf der Springer Farm stibitzt hatte. Er musste an Lucy denken, kalt und tot und zu tief in der Erde, um jemals wieder die Sonne auf ihrem Gesicht zu spüren, egal, wie hell sie für ihn schien.
Er war hinter den anderen zurückgefallen. Rasch beschleunigte er seine Schritte.
Die einzige Frau in ihrer Gruppe, eine schlanke Brünette, die offenbar gern draußen war und richtige Wanderhosen trug, bei denen man die Hosenbeine mit Reißverschlüssen kürzen konnte, bot allen Schokolade an, und die Leute plauderten beim Gehen. Jedes Mal, wenn Courier bei Zauntritten oder Weggabelungen durcheinanderkam, brachte Jonas ihn wieder auf den richtigen Kurs.
Als es wärmer wurde, verflog das Adrenalin der Morgenstunden, und sie zogen beharrlich von einem Wirtschaftsgebäude zum nächsten abgelegenen Schuppen und sprachen nur, wenn es notwendig war.
Reverend Chard war kein sportlicher oder junger Mann, und um die Mittagszeit ging ihm eindeutig langsam die Kraft aus. Jonas wechselte ein paar leise Worte mit dem Anführer, der dem Reverend nahelegte, dass er für heute genug getan hätte. Der Vikar protestierte der Form halber und machte sich dann dankbar auf den Rückweg nach Wheddon Cross, um sein Auto zu holen und sich zweifellos im Rest And Be Thankful ein Glas kalten Cider zu Gemüte zu führen.
Jonas sah ihn mit Erleichterung, aber auch mit ein wenig Neid gehen. Er war mit der Zuversicht der Erinnerung aufgebrochen, doch mehr als ein Jahr des Dasitzens und Vor-sich-Hinstarrens bedeutete, dass seine Lunge bei solchen Anstrengungen nicht mehr mithalten konnte und seine Beine schmerzten. Die Sonne, die am Anfang des Tages so willkommen gewesen war, zehrte seine Kräfte noch zusätzlich auf, und er war hungrig und reizbar wie ein Kleinkind zur Abendessenszeit.
Urplötzlich sah er ein Baby vor sich, das den Rosenmund für einen Löffel aufsperrte, und Lucy, die ihm Danebengegangenes vom glatten Kinn kratzte. Das Baby hatte seine Augen, und Lucy drehte sich zu ihm um und lächelte ihn an, strahlend vor Glück.
Jim Courier kam herüber und zeigte auf irgendetwas auf der Karte. Jonas hielt den Kopf gesenkt und nickte, obwohl er nur die Stummelfinger des Mannes sehen konnte.
Sie gingen weiter, und Jonas leerte seinen Verstand und sah seinen eigenen Füßen zu, während diese ihm den Weg über die duftenden Hügel wiesen.
Nicht ein einziger Freiwilliger gab während der drei Tage
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