Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
Pimmel hängt ihm raus.« Also hatte Reynolds den Fahrer vernommen, bis dieser so hemmungslos weinte, dass er keinen zusammenhängenden Satz mehr hervorbrachte. Daraufhin wurde der für diese Gegend zuständige Arzt gerufen, um ihm ein Beruhigungsmittel zu verabreichen, und sein Neffe – ein Kleinstadt-Anwalt, der unverzüglich gekommen war, um dafür zu sorgen, dass die Rechte seines Onkels Ken gewahrt wurden – zog sich eilends von dem Fall zurück und rief einen richtigen Strafverteidiger aus Bristol herbei.
Reynolds wäre hocherfreut gewesen, wäre ein heraushängender Pimmel ein hieb- und stichfester Beweis für Serien-Kidnapping gewesen, doch so einfach war das Leben nicht. Unter den gegebenen Umständen bestand für ihn gegen Ken Beard nicht einmal hinreichender Tatverdacht, um ihn über Nacht in Gewahrsam zu nehmen. Der Strafverteidiger aus Bristol wurde auf der M5 angewiesen umzukehren und stellte der Familie trotzdem zweihundertfünfundachtzig Pfund in Rechnung.
Eine mobile Einsatzzentrale traf aus der Hauptwache ein – allerdings war sie weniger heruntergekommen als die, die ihnen vorletzten Winter zugewiesen worden war. Graham Nash erlaubte ihnen, sie auf dem Parkplatz des Red Lion aufzustellen, was sehr praktisch war.
Reynolds hatte jetzt offiziell zwölf Polizeibeamte für diesen Fall zugewiesen bekommen und konnte ungefähr ein weiteres Dutzend vom Polizeiteam des Exmoor anfordern, in Gestalt von Männern, die freiwillig ihre freien Tage opferten, oder von Streifenbeamten wie Holly und PC Walters, die von ihren üblichen Pflichten abgezogen und eingeteilt werden konnten, wann und wo sie gebraucht wurden.
Da sich der größte Teil der Einsatzkräfte auf die Entführungen konzentrierte, gerieten andere Vergehen auf dem Moor aus dem Blickfeld. Die Diebstähle aus Gartenschuppen verdoppelten sich in der nächsten Woche von vier auf acht, was einen diensthabenden Polizeibeamten veranlasste, ohne jegliche Ironie zu seufzen: »Da draußen geht’s in letzter Zeit zu wie in Chicago.«
Trotz all dieses geschäftigen Treibens und der neuen Männer und der neuen Einsatzzentrale und der neuerlichen Schlagzeilen und der erneuten Suche mit Wärmebildkameras und den neuen Google Maps, die Reynolds an der Stellwand hängen hatte, ergaben sich bei der Suche nach den fünf vermissten Kindern keinerlei neuen Hinweise.
25
Kate Gulliver wusste, dass sie das Falsche getan hatte.
Selbst wenn alles gut ausging – und das würde ja gewiss geschehen –, nichts konnte daran etwas ändern.
Ihr Gewissen hatte mit ihrem Instinkt gerungen, seit sie Jonas für diensttauglich erklärt hatte. Obgleich andere Patienten ihr tagsüber unendlich viel mehr zu schaffen machten, war es Jonas Holly, der ihre nächtlichen Gedanken heimsuchte und sie nicht schlafen ließ.
Ein Dutzend Mal hatte sie beschlossen, ihn anzurufen, wenn sie nachts im Bett lag, und es am nächsten Morgen dann doch nicht getan. Und jeden Tag, an dem sie es weiter aufschob, spürte sie, wie ihre spontane Entscheidung, ihn für diensttauglich zu erklären, größer und größer wurde wie eine dieser Zauberblumen, die man ins Wasser legt. Irgendwann konnte Kate nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, an nichts anderes mehr denken als an Jonas Holly und an jene seltsame kalte Furcht, die sie so schwach gemacht hatte, dass sie ihre eigenen ethischen Grundsätze umgangen hatte.
Endlich rief sie ihn doch an.
Das Freizeichen klang altmodisch. Sie war nie auf dem Exmoor gewesen, doch ihre Vorstellung war kein schlechtes Faksimile des kleinen Steincottage, in dem Jonas wohnte.
Er nahm nach dem fünften Klingeln ab, und sie war plötzlich völlig unvorbereitet, obwohl sie seit Wochen darüber nachgedacht hatte, was sie sagen sollte.
»Hallo Jonas, hier ist Kate.«
Schweigen, also setzte sie hinzu: »Gulliver.«
Ein vorsichtiges »Hallo.«
»Wie geht es Ihnen?«
»Gut«, sagte er.
»Schön. Das ist schön. Ich wollte bloß wissen … Ich hab mich nur gefragt, wie Sie wohl zurechtkommen. Im Dienst.«
Wieder eine lange Pause. Herrgott noch mal! Das war ja wie Zähneziehen!
»Gut, danke.«
Seine Stimme klang ausdruckslos. Kate wünschte sich, sie wäre einfach ins Auto gestiegen und zu ihm gefahren; das hier brachte nichts. Schlimmer noch, sie hatte dabei das Gefühl, in der Defensive zu sein. Anstatt sich wie eine professionelle Therapeutin vorzukommen – cool, gelassen und Herrin der Lage –, suchte sie in dem Gespräch verzweifelt nach Halt, nach festem
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