Ihr liebt sie nicht: Psychothriller (German Edition)
aber wenn das erst einmal ausgesprochen und da draußen im Äther unterwegs war, würde er zum Arzt gehen und sich anhören müssen, wie dieser ihm bestätigte, dass er nur noch ein paar Monate zu leben hatte. Vielleicht auch nur Wochen.
Die Ablenkung durch seine eigene Sterblichkeit funktionierte. Ein stockender Strom, und Ken verspürte allmählich segensreiche Erleichterung in seiner Blase. Alles würde gut werden. Er würde es schaffen. Vielleicht war es ja gar kein Krebs. Vielleicht würde er lange genug am Leben bleiben, um Karen mit einem Buchhalter zu erleben und mit einem Baby …
Maisie schrie, hoch und dünn.
Oder war das Kylie?
Ken Beard wusste es nicht genau, aber plötzlich stolperte er den Hügel wieder hinauf. Steine gaben unter seinen Hush Puppies nach, Knie knallten gegen Felsen, Hände packten trockene Grasbüschel und dornige Ginsterstauden.
Noch ein kurzer Aufschrei.
»WER IST DA?!«, brüllte er. Oder vielleicht war dieses Brüllen ja auch nur in seinem Kopf, zusammen mit dem grauenvollen Geräusch von Keuchen und Angst, bei dem sich sein Gehirn genauso zum Bersten voll anfühlte, wie seine Blase es vor Kurzem noch gewesen war.
Machten die beiden sich nur einen Spaß? Wenn ja, würde er ihnen eine Standpauke halten, die sich gewaschen hatte. Aber es waren doch brave Mädchen, die ihm nie Ärger gemacht hatten. Er konnte die braunen Rahmen der Busfenster auftauchen sehen, das dunkle Glas, die Streben, die cremeweiße Farbe, die ordentlichen Buchstaben EXMOOR BUSSERVICE .
Das Getöse des Dieselmotors schwoll an, und Ken rutschte weg und fiel platt auf den Bauch. Als er aufstand, verspürte er einen scharfen Schmerz im rechten Knie, hastete aber weiter.
Halb auf Händen und Knien taumelte er auf die Straße hinaus.
Sie war leer, bis auf den Bus und den unverwechselbaren Geruch von Dieselabgasen. Er hinkte zu den Stufen und zog sich am Geländer hoch.
Die Mädchen waren weg.
Oder sie versteckten sich! Bitte, lieber Gott, sie versteckten sich! Er humpelte den Gang hinunter, blickte wie irre von einer Seite zur anderen, auf die Sitze, den Boden, sogar auf die Gepäcknetze.
»Maisie! Kylie!«
Das hier konnte nicht wahr sein. So etwas konnte ihm doch nicht passieren . Der Krebs war ein Klacks, verglichen mit diesem hohlen Grauen in seinem Herzen. Er wünschte sich, er hätte es mit Krebs zu tun und nicht mit zwei verschwundenen Kindern. Krebs wäre ein Segen.
Er rannte draußen vor dem Bus hin und her, schaute darunter und brüllte dann von der obersten Stufe aus wie wild die Namen der Mädchen.
»Das ist nicht komisch!«, schrie er. »Kommt sofort zurück! Ich lasse euch hier! Ich lasse euch verdammt noch mal hier, dann könnt ihr zu Fuß nach Hause gehen und euren Müttern sagen, warum ihr so spät kommt! Ihr kommt jetzt sofort wieder her!« Seine Stimme überschlug sich.
Wie unter Zwang hinkte er den Mittelgang hinauf und hinunter. Er könnte sie übersehen haben. Vielleicht saßen sie ja ganz still, oder sie hatten sich hinten auf der letzten Sitzbank ganz klein zusammengerollt, um ihn zu ärgern. Er hatte solche Angst, dass er kurz vorm Heulen war. Er musste Karen anrufen und ihr sagen, dass er sie lieb hatte, ganz gleich , was sie machte, und dass sie bitte wieder nach Hause kommen sollte, alles würde gut werden, so wie früher, als sie klein war. Bitte, bitte, bitte kommt zurück. Bitte.
Frank Tithecott fuhr seinen Posttransporter hinter dem Bus an den Straßenrand und stieg aus. Aus dem Innern des Busses ertönte ein merkwürdiges Wummern, und er schaukelte ganz leicht von einer Seite zur anderen.
Der Postbote stieg die Stufen hinauf und sah ein erschreckendes Bild vor sich: Ken Beard kam ihm den Gang hinunter entgegengetorkelt und faselte irgendetwas von zwei Kindern und einem Diesel, während ihm sein schlaffer Penis aus der Hose hing und von einer Seite zur anderen pendelte.
Frank übernahm das Kommando. Er brachte Ken Beard dazu, seinen Hosenschlitz zuzumachen und sich hinzusetzen, dann rief er die Polizei an, um zu melden, dass anscheinend zwei Kinder aus dem Schulbus verschwunden wären.
Dass der Fahrer völlig von der Rolle sei.
Und dass da ein gelber, viereckiger Zettel auf dem Lenkrad klebte, auf dem stand: Ihr liebt sie nicht.
Der Postbote, der hinter dem Schulbus gehalten hatte, hatte Reynolds berichtet, dass Ken Beard sich am Tatort entblößt habe. Was er tatsächlich gesagt hatte, war: »Kommt da angeeiert wie nur was, flennt und schwafelt rum, und der
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