Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Geiselnehmer hineingehen, und er verlangt, dass ein Vertreter der Medien mich mit einer Kamera begleitet. Wer von Ihnen ist dazu bereit?«
Als hätte man bei einem Fernseher den Ton auf lautlos gestellt, war es plötzlich totenstill. Keiner der Anwesenden schien sich um den Job zu reißen. Inga Jäger hatte sogar das Gefühl, dass einige, die an vorderster Stelle an der Absperrung standen, jetzt so unauffällig wie möglich nach hinten wegschlüpften. Wo war sie plötzlich hin, die gewohnte Dreistigkeit?
» Moment«, raunte Gebert ihr von der Seite ins Ohr. » Sie haben doch nicht etwa ernsthaft vor, da hineinzugehen?«
» Ich sehe keine andere Möglichkeit«, raunte sie zurück. » Sie?«
Er schien zu überlegen.
Doch ehe er etwas sagen konnte, fügte sie hinzu: » Gebert, das da drinnen ist nicht Wilhelm Schneider, der Arzt, der die Kinder ermordet hat. Das sind seine Söhne. Sie sind unschuldig. Wir müssen tun, was wir können, um sie zu retten.«
Nach einem Moment des Zögerns nickte er. » Dann komme ich mit Ihnen und spiele den Journalisten.«
» Nein«, sagte sie. » Volz kennt Sie.«
» Dann ein anderer Polizist.«
» Dem wir in neunzig Sekunden beibringen, wie eine Kamera funktioniert? Das haut nicht hin. Wir laufen nur Gefahr, dass Volz dann nicht nur die Geiseln, sondern auch uns erschießt.«
Gebert ließ die breiten Schultern hängen– und wandte sich an die Reporter.
» Also hört zu, Leute!«, rief er. » Wir haben gerade mal etwas mehr als eine Minute Zeit. Wenn sich bis dahin keiner von Ihnen freiwillig meldet, Frau Jäger zu begleiten, stirbt die erste Geisel. Wer also erweist seinem Berufsstand Ehre und geht mit in die Höhle des Löwen?«
» Ich mache es!« Eine feste Stimme aus der dritten Reihe.
Inga Jäger schaute hin. Es war der smarte Dunkelhaarige, der sie vorhin in der Staatsanwaltschaft überfallen hatte. Die anderen machten ihm Platz, und er kam mit einer Kamera nach vorn.
» Max Hoffmann, richtig?«, fragte Inga Jäger.
Er grinste. » Sie haben sich meinen Namen gemerkt.«
Ohne darauf einzugehen, drehte sie sich wieder zu Peiß und nahm ihm das Funkgerät ab.
» Herr Volz! Inga Jäger hier. Ich habe einen Reporter mit Kamera gefunden, und wir sind bereit, zu Ihnen hineinzukommen. Wie ist das weitere Vorgehen?«
» Ich hatte gehofft, dass ich mich auf Sie verlassen kann, Frau Jäger«, erklang Volz’ Stimme aus dem Lautsprecher. » Warten Sie vor dem Tor. Es wird Ihnen jemand öffnen.«
Einer der Männer des Einsatzkommandos kam hinzugeeilt und brachte eine schusssichere Weste für den Reporter und einen Gegensprechohrstöpsel für Inga Jäger.
» Was soll ich damit?«, fragte der Journalist. » Wenn wir da jetzt reingehen, komme ich ihm nahe genug, dass er mir in den Kopf schießen kann, wenn er das will.«
» Ziehen Sie sie trotzdem an«, befahl Inga Jäger, während sie den Ohrstöpsel anbrachte und ihr Haar so richtete, dass man ihn nicht sehen konnte. » Falls es zum Stürmen und zu einem unkontrollierten Schusswechsel kommen sollte, sind Sie wenigstens teilweise geschützt.«
» Okay. Das ist ein Argument«, räumte Hoffmann ein und reichte ihr die Kamera, damit er die Weste anziehen konnte. Der Kollege vom Einsatzkommando half ihm dabei, sie festzuzurren.
Sie gingen zum Tor, und Inga Jäger nahm ihre SIG , um sie Gebert zu reichen.
» Vielleicht vergisst er, Sie zu durchsuchen«, gab Gebert zu bedenken, ohne sie entgegenzunehmen.
» Und wenn nicht, vertue ich gleich am Anfang die Chance, dass das hier gut ausgeht.«
Sie drückte ihm die Waffe in die Hand, und für einen langen Moment sahen die beiden einander wortlos an.
» Sie sind ein stures, rechthaberisches Biest, Jägerin«, knurrte Gebert schließlich, und sie konnte die Hilflosigkeit in seinem Blick sehen.
» Deswegen mögen Sie mich so«, sagte sie lächelnd und berührte seine Hand.
» Passen Sie auf sich auf«, mahnte er. » Und sorgen Sie dafür, dass Sie da wieder lebend herauskommen.«
» Versprochen«, sagte sie, nickte ihm zum Abschied zu und stellte sich dann zusammen mit Hoffmann vor das Tor.
Wenige Augenblicke später wurde es von innen geöffnet.
Vor ihnen stand Gernot Schneider, Gunthers Bruder. Er wirkte erschöpft und ängstlich. Auf seinem fast kahlen Kopf standen Schweißperlen. Er trug dieselbe ausgebeulte Cordhose und auch die graue Strickjacke, die er getragen hatte, als Inga Jäger ihm auf dem Parkplatz hinter dem LKA das erste Mal begegnet war.
» Sie sind frei?«,
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