Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
gefangen gehalten worden waren, ehe man sie kaltblütig hingerichtet hatte… viele von ihnen nur der Behauptung nach geistig behindert… was nicht hieß, dass die grausamen Morde an den anderen in irgendeiner Weise zu rechtfertigen gewesen wären. Obwohl sie dem Reporter Gegenteiliges geraten hatte, sah sie sich, während sie den Gang abschritt, die Patienten, die aufgebracht und aggressiv in ihren Zellen tobten, genauer an.
Sie kam nicht umhin, sich die auf der Hand liegende Frage zu stellen, wie wohl künftige, weiter fortgeschrittene Generationen deren Zustände beurteilen würden… und die Menschen, die sie, im Glauben, wissenschaftlich zu handeln, als unheilbar und gefährlich einstuften und einfach für immer wegsperrten?
Würde man in weiteren siebzig Jahren Männer wie Professor Götz vielleicht ebenso für Monster halten, wenn auch nicht für so große wie Wilhelm Schneider?
Schon heute betrachtete man einige Eigenarten, die man vor noch gar nicht langer Zeit als Behinderung bezeichnet hatte, als besondere Begabung – und nicht mehr als im negativen Sinne anormal, sondern als außergewöhnlich.
Ein gutes Beispiel hierfür war Elli Falkenstein, die kleine Leiterin der Spurensicherung, mit ihrer Inselbegabung.
Im Dritten Reich hätte man sie ohne lange zu zögern weggesperrt und ermordet, heute war sie die mit Abstand beste Forensikerin, mit der Inga Jäger es jemals zu tun gehabt hatte.
Sie schüttelte die düsteren Gedanken ab und konzentrierte sich auf die Situation, die vor ihr lag. Die hatte ihre ganz eigenen Schrecken… und Gefahren.
75
» Ich habe die Leitung des Klosters erreicht.« Die Otto drängte sich an Peiß vorbei zu Gebert, der in der Nähe des Tors stand. » Jemand wird uns unten beim Hospitalkeller erwarten.«
» Gut«, sagte Gebert. » Nehmen Sie drei der Männer mit. Sprengstoff und Grabwerkzeug. Wir bleiben in Verbindung. Kein Zugriff ohne meinen Befehl.«
Ihr Nicken glich einem militärischen Gruß, und sie rannte los. Bei den Einsatzwagen angekommen, wählte sie die Kollegen Stumpf, Lauer und Oberle aus und ließ sie eilig, aber wachsam die notwendige Ausrüstung in einen der Kleinbusse zusammentragen. Keine sechzig Sekunden später waren sie losgefahren.
Das Kloster Eberbach befindet sich etwa einen halben Kilometer nordöstlich der psychiatrischen Anstalt Eichberg in einem schmalen Taleinschnitt. Die Otto nahm eine kleine Querstraße durch den Waldausläufer so schnell, dass die Männer hinter ihr fluchten, und fuhr gleich darauf mit Blaulicht durch das Portal auf das Gelände und dort dann Richtung Nordwesten zum Hospitalkeller, über dem in einer Vinothek Weine des Staatsweingutes an Klostertouristen verkauft wurden.
Ein Mann Anfang sechzig wartete vor dem Gebäude. Er trug dunkle Hosen und ein helles Cordsakko mit Leder-Patches auf den Ellbogen. Die Otto lenkte den Einsatzbus direkt neben ihn und stieg aus dem Wagen.
» Sie sind Herr Bertz, der Verwalter?«
» Ja«, antwortete er. » Ich führe Sie und Ihre Leute in den Keller zu dem zugemauerten Gang.«
Ihre Männer schulterten die Ausrüstung, und sie eilten zu fünft über eine schmale Sandsteintreppe in das fast achthundert Jahre alte Kreuzgewölbe, an riesigen Weinfässern und gotischen Sandsteinsäulen vorüber, hin zu einer Stelle an der Wand, wo der Platz unter einer ebenfalls aus Sandstein bestehenden Zarge mit Natursteinen ausgemauert war.
» Semtex?«, fragte Lauer, ein hochgewachsener Kerl mit hellen Augen und einem von Natur aus freundlichen Gesicht.
» Plastiksprengstoff?«, fragte die Otto, die seine Vorliebe für Explosionen aller Art kannte, zurück. » Hier, in einem Denkmal des Weltkulturerbes? Und wenn wir hundert Menschenleben damit retten, setzt uns die Landesregierung dafür auf die Straße, ehe wir überhaupt Bumm sagen können. Nichts da. Spitzhacken und Stemmeisen.«
Die Männer beeilten sich, ihre Ausrüstung abzustellen, nahmen die entsprechenden Werkzeuge und gingen an die Arbeit.
76
Inga Jäger, Max Hoffmann und Gernot Schneider hatten die hintere Kammer mit der Zelle, in der der Gorillamann wütete wie ein angeschossener Berserker, und die enge, gewundene Treppe in den Keller gerade hinter sich gelassen, und Gernot Schneider klopfte ängstlich an die letzte Tür.
» Kommen Sie herein!«, rief Achim Volz von drinnen, und die drei betraten vorsichtig die kleine, unterirdische Halle.
Achim Volz saß in der hinteren linken Ecke auf dem Boden und hielt die Luger in relativ
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