Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
sich ihr Magen verkrampft, und ein Würgereiz setzte ein, dem sie augenblicklich zu widerstehen versuchte… vergeblich.
Zwei, drei hässliche Geräusche später war ihr zusammen mit Elli Falkenstein eingenommenes Frühstück Vergangenheit, und in ihrem Mund schmeckte es unappetitlich nach Apfel, Zuckerguss, Marzipan, Milchkaffee und Galle.
Gebert und die Otto waren von beiden Seiten herbeigesprungen und hielten sie stützend an den Armen fest.
» Danke«, sagte sie unwirsch, weil ihr der Halt der beiden gleichermaßen willkommen wie unangenehm war, und machte sich frei, um aus ihrem Mantel ein Taschentuch hervorzuholen, mit dem sie sich die Mundwinkel abwischte.
Es war ihr wahrlich mehr als nur ein wenig peinlich, sich vor ihren neuen Wiesbadener Kollegen übergeben zu haben– wie eine blutige Anfängerin an ihrem allerersten Tatort. » Es tut mir leid.«
» Nein, mir tut es leid«, sagte Gebert leise, und er klang auch tatsächlich so. » Ich hätte Sie vorwarnen sollen. Ich habe nicht so weit gedacht.«
Die Otto eilte davon und kam ein paar Sekunden später zurück mit einem Glas Wasser, das sie an einem Waschbecken in der Ecke des Ateliers gezapft hatte.
» Hier, trinken Sie«, sagte sie mit für ihr eher martialisches Auftreten überraschend fürsorglicher und sanfter Stimme.
Inga Jäger nahm einen großen Schluck, spülte den süßlich-sauren Geschmack zwischen ihren Zähnen hinunter und atmete dann tief ein und aus, um ihren erhöhten Puls wieder zu regulieren.
» Geht es wieder?«, fragte die Otto besorgt.
» Ja, vielen Dank.« Sie trank noch einmal und gab ihr dann das Glas zurück.
» Was sagen Sie dazu?«, fragte Gebert.
» Dieser Mistkerl!«, fluchte Inga Jäger wütend mit Blick auf das Regal. Sie konnte noch immer nicht fassen, dass ihr Mitgefühl und ihre Menschenkenntnis sie dieses Mal so sehr im Stich gelassen hatten. » Dieser dreimal verdammte Mistkerl! Ich hätte schwören können, er ist unschuldig.«
» Sieht nicht so aus«, sagte Gebert grimmig.
» Ganz und gar nicht«, fügte die Otto hinzu.
Alle drei schauten sie auf die Glasbehälter in dem Regal.
Es waren runde Behälter mit Deckeln, wie man sie aus einem Chemielabor kannte. Ein wenig erinnerten sie Inga Jäger auch an Oma Theas Einmachgläser– und ihr wäre beinahe schon wieder schlecht geworden.
Jedes einzelne von ihnen war gefüllt mit einem konservierten Organ.
21
Landeskriminalamt Wiesbaden. Verhörzimmer 3 .
» Das sind Tierorgane, verdammt noch mal!«, brüllte Heiko Reichard hysterisch und wollte vom Tisch des Verhörzimmers aufspringen. Doch die klirrenden Hand- und Fußschellen aus Edelstahl hielten ihn auf dem am Betonboden festgeschraubten Stuhl. » Die brauchte ich als Modelle für meine früheren Arbeiten. Zugegebenerweise meine morbideste Phase. Aber das ist doch kein Verbrechen!«
Inga Jäger hatte die entsprechenden Bilder in dem Atelier auf der Eltviller Aue gesehen.
Morbide war dafür ziemlich untertrieben.
Die mit Öl in erschreckend dunklen Farben gemalten Bilder hatten blutige Herzen auf nadelspitz zugeschliffenen Fleischerhaken gezeigt und mit rostigen Ketten umschlungene Lungenflügel sowie einen Magen mit einem dicke Speichelfäden ziehenden Raubtiergebiss und eine von einer rohen Leber wie mit einer Faust umschlossene Flasche Wodka.
Bei der Sichtung der Gemälde wäre Inga Jäger beinahe noch schlechter geworden als schon in dem Moment, in dem sie die echten Organe zum ersten Mal entdeckt hatte, und sie fragte sich noch immer, welch kranker und pervertierter Geist dem Mann innewohnte, der ihr jetzt am Verhörtisch gegenübersaß und dessen Miene, wenn auch Ausdruck seiner ungläubigen Fassungslosigkeit, immer noch die eines Unschuldigen war.
» Ihnen ist doch wohl klar, Herr Reichard, dass ich Ihnen die Unschuldsnummer jetzt nicht mehr abnehme«, sagte Inga Jäger, und auch ihre Stimme war, zu ihrer eigenen Überraschung, sehr viel lauter, als sie es beabsichtigt hatte.
Die Wut darüber, auch nur einen Moment lang an die Schuldlosigkeit dieses Monsters geglaubt zu haben, hatte etwas Unbarmherziges in ihrem tiefsten Innern geweckt, und sie stand ihm gegenüber wie ein Racheengel am Tag des Jüngsten Gerichts; die geballten Fäuste so fest auf die Tischplatte stemmend, dass ihr die Knöchel wehtaten.
» Was bitte haben denn diese anatomischen Muster überhaupt mit dem Mord an meiner Frau zu tun?«, fragte er barsch.
Diese anatomischen Muster. Der Kerl hatte Nerven.
» Verarschen Sie
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