Ihr unschuldiges Herz: Kriminalroman (German Edition)
Öffentlichkeit zu versagen, war ein todsicheres Karriere-Aus.
Auf der anderen Seite schrie alles in ihr dagegen auf, den Fall abzugeben… und dabei spielte die dünne Chance auf die umgekehrte Möglichkeit, nämlich dass sie den Fall unter den Augen der gesamtdeutschen Öffentlichkeit lösen und ihre Karriere einen riesigen Schritt weiterbringen würde, überhaupt keine Rolle. Sie wollte den Killer zur Strecke bringen– und damit ihr dem Geist von Sieglinde Reichard gemachtes Versprechen einlösen.
Das war es, das zählte.
» Warten Sie«, bat Elli und riss sie aus ihren Gedanken. » Nicht so schnell mit Mutmaßungen. Bei den LKA s bin ich nämlich gar nicht fündig geworden.«
» Nein? Wo dann?«
» Ich erkläre es ja schon.«
» Aber wie immer ziemlich umständlich, Elli.«
» Ich weiß, ich weiß, ich weiß«, gab die kleine Technikerin zu. » Also, parallel zu dem Suchlauf in den Systemen der LKA s habe ich noch einen anderen gestartet– in den Archiven der DPA .«
» Der Deutschen Presseagentur?«, wunderte sich Inga.
» Ja, die haben ein Computerarchiv, von dem wir nur träumen können«, sagte Elli.
Inga verstand nicht. » Wenn bei den Landeskriminalämtern und beim BKA keine Verbrechen eingetragen sind, haben doch auch keine stattgefunden.«
» Richtig.«
» Wie kann es denn dann Zeitungsartikel darüber geben?«
» Wie ich schon sagte«, meinte Elli. » Die DPA hat ein Archiv, von dem wir nur träumen können. In unserem Fall heißt das, es geht sehr viel weiter zurück als unsere Systeme. Was bei uns noch in Papierform in irgendwelchen Kellern gelagert und auch wahrscheinlich niemals mehr in unsere Datenbanken eingepflegt wird, haben die alles auf ihren Servern.«
» Was meinen Sie mit Es geht sehr viel weiter zurück?« Inga fühlte sich, als stünde sie auf der Leitung.
» Die drei weiteren Morde, die ich entdeckt habe«, sagte Elli. » Der Suchlauf hat durch die Schlagwörter fast schon zufällig etwas ausgespuckt, womit keiner von uns rechnen konnte: Die Hinrichtungen sind nicht an anderen Orten geschehen, sondern zu anderen Zeiten.«
» Was?! Noch früher als der von 1984?«
Elli nickte.
» Wann, Elli?«
» 1971, 1958 und 1945.«
40
» Was?« Gebert war ebenso fassungslos wie Inga, als er, nachdem Tanya eingeschlafen war, die Ergebnisse von Ellis Nachforschungen erfuhr. Die drei saßen jetzt in Ingas Wohnzimmer, und Elli zeigte ihnen auf dem Notebook die entsprechenden Zeitungsartikel, die sie bei ihrer Recherche auf den Servern der Deutschen Presseagentur gefunden hatte.
» Hier!« Sie scrollte mit ihren kleinen Fingern geschickt auf einen der Links in ihrem Index und öffnete ihn mit einem Doppelklick. » Ein Artikel im Wiesbadener Kurier vom 24. September 1971: Mord in den Weinbergen über Eltville.«
Sie klickte weiter. » Und hier einer aus der Frankfurter Rundschau. Ebenfalls vom 24. September, allerdings 1958: Wiesbadenerin bei Kloster Eberbach erschossen.«
Sie wählte einen dritten Link an und öffnete ihn. » Und schließlich im Wiesbadener Tagblatt vom 25. September 1945: Mädchen grausam ermordet.«
» Ein Mädchen?«, fragte Inga erschüttert.
» Steht da.«
» Hast du auch Namen der Opfer, eventuell genaue Tathergänge, Tatortbeschreibungen?«, fragte Gebert. » Irgendwelche Details zur Tatwaffe?«
» Noch nicht«, sagte Elli. » Das ist das, was das DPA -Archiv mir ausgespuckt hat zu den Tags Mord, Rheingau, September, Weinberge, Eichberg et cetera. Für die Details müssen wir in unsere eigenen Archive– ich meine die realen, die in den Kellern.«
Inga sah, wie sich die kleine Forensikerin allein bei dem Gedanken, Informationen auf die ganz alte Art und Weise in Papierakten zu sichten, schüttelte.
» Aber jetzt haben wir wenigstens die Daten, unter denen wir suchen müssen«, sagte Gebert. » Das grenzt die Sache enorm ein.«
» Na ja, nicht gerade enorm«, sagte Elli zynisch. » Aber zumindest einigermaßen.«
» Jeder dieser Morde ist am 22. September verübt worden?« Inga konnte es noch immer nicht fassen.
» Ja«, sagte Elli. » Alle dreizehn Jahre. Seit 1945.«
» Das ist fünfundsechzig Jahre her«, rechnete Gebert. » Das heißt, wenn wir davon ausgehen, dass sie tatsächlich alle von dem gleichen Täter begangen wurden und der, sagen wir mal, bei der ersten Tat vierzehn oder fünfzehn war, dann ist er heute achtzig Jahre alt.«
» Kann das sein?«, fragte Inga Jäger mehr sich selbst als die anderen beiden.
» Schwer vorstellbar«,
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