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Ihr wahrer Name

Ihr wahrer Name

Titel: Ihr wahrer Name Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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an Claires Freundschaft mit mir belauscht. Hinter der Gartenmauer hatte ich ihn sagen hören, sie solle vorsichtiger sein, Leute wie ich würden andere nur ausnutzen. Und Ciaire hatte geantwortet, ich sei ein merkwürdiges kleines Affchen ohne Mutter, und wie solle ich sie schon ausnutzen? Daraufhin hatte sich Teds Bruder Wallace, ein großgewachsener blonder Mann mit lautem, herzlichem Lachen, eingemischt, daß sie sich noch wundern würde, Leute wie ich neigten nun mal zu solchen Übergriffen: Du bist noch jung, Ciaire, und du glaubst, alles besser zu wissen als wir. Ich verspreche dir, wenn du erst die Welt ein bißchen kennengelernt hast, siehst du das auch anders.
    Sollte ich mich dafür schämen, daß ich so viel von der .anderen Seite der Mauer gehört hatte? Vielleicht, vielleicht - allerdings war es lediglich meine kindliche Vernarrtheit in Ciaire gewesen, die mich dazu brachte, sie zu belauschen, wenn sie am Sonntagnachmittag alle im Garten saßen. Nun errötete Ciaire. »Ted ist durch den Krieg reifer geworden. Und durch den Verlust von Wallace. Du hast ihn noch nicht gesehen, seit er wieder zurück ist, oder? Wahrscheinlich wird er irgendwann großen Einfluß haben in dieser Stadt, aber zu Hause ist er jetzt viel sanfter als früher. Als er und Vanessa uns am Sonntag zum Essen besucht haben und ich ihnen erzählt habe, wie krank du bist, daß du Ruhe und frische Luft brauchst, haben sie beide sofort an Axmouth gedacht. Ein Farmer aus der Gegend, er heißt Jessup, wird dir sicher billige Lebensmittel verkaufen, und in Axmouth gibt's auch einen ordentlichen Arzt, also müßtest du dort allein zurechtkommen. Ich fahre im Dezember hin, wenn meine Zeit im St. Anne's zu Ende ist, aber wenn du mich brauchst, kannst du mir ein Telegramm schicken; vermutlich könnte ich mir in einem Notfall einen Tag freinehmen.«
    Genauso wie sie dafür gesorgt hatte, daß ich an der Schule angemeldet wurde und die Stipendien bekam, die ich benötigte, organisierte sie auch jetzt alle Einzelheiten meines Lebens. Sie unterschrieb sogar mein Tuberkulose-Attest und überzeugte die Krankenhausleitung davon, daß ich mich auf dem Land, wo ich frische Lebensmittel bekäme, schneller erholen würde als in einem Sanatorium. Ich hatte ihr nichts entgegenzusetzen, keine Kraft, ihr zu sagen, daß ich es lieber in London versuchen würde. Als dann der Zeitpunkt kam, die Stadt zu verlassen, wußte ich nicht, was ich Carl sagen sollte. Er war eine Woche zuvor nach einem succes fou aus Brighton zurückgekehrt, und zwar mit einer solchen Energie, daß ich seine Gesellschaft kaum ertrug. Zehn Tage später würde er zusammen mit den anderen Mitgliedern des Cellini-Ensembles zum zweiten Edinburgh Arts Festival abreisen. Sein Erfolg, seine Pläne, seine Vision von der Kammermusik - all das erfüllte ihn so sehr, daß er überhaupt nicht merkte, wie krank ich war. Schließlich schrieb ich ihm einen unbeholfenen Brief: Lieber Carl, ich habe mich beim Royal Free krank gemeldet. Ich wünsche Dir großen Erfolg in Edinburgh.
    Ich rang um einen persönlichen Abschluß des Briefes, um etwas, das ihn an die Abende im obersten Rang der Oper erinnern sollte, an unsere langen Spaziergänge entlang des Embankment und an die Lust, die wir zusammen in dem schmalen Bett des Wohnheims erlebt hatten, bevor er genug Geld für eine eigene Wohnung verdiente. All dies schien jetzt so weit weg zu sein wie meine Oma und meine höbe. Am Ende setzte ich nur meinen Namen unter den Brief und steckte ihn in den Briefkasten vor der Waterloo Station, bevor ich den Zug nach Axmouth bestieg.

25
    Papier ist geduldig
    Sobald ich in Morrells Wohnung war, rief ich Vishnikov in der Pathologie an. Er meldete sich in seiner üblichen abgehackten Weise.
    »Vic! Kannst du hellsehen? Oder hast du irgendwelche Beweise gehabt?«
    »Dann war's also kein Selbstmord.« Ich stand an der Arbeitsfläche in der Küche und atmete tief durch.
    »Der erste Hinweis war, daß sich keine Schmauchspuren an seiner Hand befunden haben. Und dann war da noch ein Schlag gegen den Schädel, der ihn vermutlich betäubt hat, so daß der Mörder ihn ganz gemütlich erschießen konnte. Der Angestellte hier, der die erste Obduktion gemacht hat, war nicht gründlich genug, nach anderen Verletzungen zu suchen. Was ist dir aufgefallen?« »Ach, der Schlag gegen den Kopf«, sagte ich lässig. »Nein, offen gestanden habe ich die Umstände gesehen, unter denen er gelebt hat, nicht die seines Todes.«
    »Egal, Gratulation

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