Ihr wahrer Name
möglicherweise eine Strategie, wie man ihn in den Griff bekommen konnte. Ich ging die Michigan Avenue zum Water Tower Place hinunter und machte auf halber Höhe halt, um mir in einem Laden ein sogenanntes vegetarisches Sandwich zu kaufen. Das schöne Wetter hatte eine ganze Schar von Büroangestellten in der Mittagspause hinausgelockt. Ich setzte mich auf einen Marmorblock zwischen einen Mann, der in sein Taschenbuch vertieft war, und ein paar Frauen, die sich rauchend über das anmaßende Ansinnen eines Kollegen aufregten, daß sie ein zweites Set Stundenzettel ausfüllten.
Das Sandwich entpuppte sich als dickes Brötchen mit ein paar Scheiben Aubergine und Paprika. Ich zerkrümelte einen Teil des Brötchens für die Spatzen, die hoffnungsvoll vor mir auf dem Boden herumpickten. Da tauchten aus dem Nichts ein Dutzend Tauben auf, die versuchten, die Spatzen zu verdrängen.
Der Typ mit dem Taschenbuch sah mich voller Abscheu an. »Damit helfen Sie den Schädlingen«, sagte er, markierte die Seite, die er gerade las, mit einem Eselsohr und stand auf.
»Vielleicht haben Sie recht«, sagte ich und erhob mich ebenfalls. »Ich hab' zwar immer gedacht, meine Aufgabe sei es, sie unter Kontrolle zu halten, aber möglicherweise ist was dran an Ihrer Äußerung.«
Jetzt verwandelte sich sein Abscheu in Schrecken, und er verschwand hastig in dem Bürogebäude hinter uns. Ich zerkrümelte auch noch den Rest des Brötchens für die Vögel. Inzwischen war es fast eins. Morrell befand sich nun über dem Atlantik, weit weg von mir. Ich spürte ein hohles Gefühl im Bauch und machte mich auf den Weg, als könnte ich die Einsamkeit so hinter mir lassen. In Rhea Wiells Praxis saß eine junge Frau im Wartezimmer, die nervös eine Tasse Kräutertee in den Händen hielt. Ich setzte mich und beobachtete die Fische im Aquarium, während die Frau mich mit argwöhnischen Blicken musterte. »Wann ist denn Ihr Termin?« fragte ich. »Um Viertel nach eins. Und Ihrer?«
Wenn meine Uhr richtig ging, war es noch nicht ganz zehn nach. »Ich bin ohne Voranmeldung hier, in der Hoffnung, daß Ms. Wiell heute nachmittag irgendwann Zeit für mich hat. Wie lange kommen Sie schon zu ihr? Hat sie Ihnen geholfen?«
»Sehr.« Sie sagte eine Weile nichts, doch als ich mich wieder den Fischen zuwandte und das Schweigen unangenehm wurde, fügte sie noch hinzu: »Rhea hat mir geholfen, mir über Teile meines Lebens bewußt zu werden, die mir zuvor verschlossen waren.« »Ich bin noch nie hypnotisiert worden«, sagte ich. »Wie ist das?«
»Haben Sie Angst? Die hatte ich auch vor meiner ersten Sitzung, aber es ist ganz anders als in den Filmen. Es ist, als würde man mit dem Aufzug mitten hinein in die eigene Vergangenheit fahren. Man kann auf den verschiedenen Stockwerken aussteigen und sie erkunden. Rhea begleitet einen und gibt einem Sicherheit. Man ist nicht mehr allein oder in Gesellschaft der Ungeheuer, die damals da waren, als man diese Dinge zum erstenmal erlebt hat.«
Die Tür zum Sprechzimmer ging auf. Die junge Frau wandte den Blick sofort Rhea zu, die zusammen mit Don Strzepek herauskam. Die beiden lachten, als würden sie sich schon Ewigkeiten kennen. Don wirkte sehr lebhaft, und Rhea trug nicht wie sonst eine fließende Jacke und Hose, sondern ein rotes, eng geschnittenes Kleid. Als sie mich sah, errötete sie und wich ein wenig von Don zurück.
»Wollen Sie zu mir? Ich habe gleich einen Termin.« Zum erstenmal hatte ich das Gefühl, daß in ihrem Lächeln tatsächlich so etwas wie menschliche Wärme lag. Ich wußte, daß das nichts mit mir, sondern mit Don zu tun hatte, aber es machte meine eigene Reaktion natürlicher. »Etwas ziemlich Ernstes ist passiert. Ich kann warten, bis Sie Zeit für mich haben, doch dann sollten wir uns unterhalten.«
Sie wandte sich der wartenden Patientin zu. »Isabel, ich werde die Sitzung mit Ihnen nicht verschieben, würde mich aber gern einen Augenblick allein mit der Frau unterhalten.« Als ich sie zu ihrer Sprechzimmertür begleitete, folgte mir Don. »Paul Radbuka hat angefangen, die Familie von Mr. Loewenthal zu belästigen. Ich würde gerne mit Ihnen Strategien zur Bewältigung der Situation besprechen.«
»Er belästigt sie? Das ist eine ziemlich schwerwiegende Anschuldigung. Möglicherweise interpretieren Sie sein Verhalten falsch. Auf jeden Fall sollten wir darüber reden.« Sie trat hinter ihren Schreibtisch, um einen Blick in ihren Kalender zu werfen. »Ich könnte Sie um halb drei einschieben,
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