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Ilium

Titel: Ilium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Daeman.
    Unter ihren Straßenstiefeln waren die Stufen glitschig, aber an der rechten Wand hatte man mit Metallstiften und Schlaufen eine Art Kletterseil angebracht, und die vier hielten sich beim Abstieg an der Leine fest. Harman hatte vierzig Stufen gezählt, als die Treppe vor einer Eiswand endete. Nein, sie führte nach rechts und weiter abwärts – fünfzig Stufen diesmal –, dann wieder nach links und noch einmal fünfzig Stufen hinunter. Der ganze Weg nach unten wurde von in großen Abständen ins Eis eingelassenen Infrarot-Kaltlichtfackeln erleuchtet.
    Am Fuß der Treppe führte ein Gang tief in den Eisberg hinein. Der Weg wurde nun von grünen, blauen und roten Kaltlichtfackeln erhellt. Hin und wieder gelangten sie an eine Kreuzung, aber einer der möglichen Wege war immer dunkel, der andere beleuchtet. Einmal ging es einen langsam ansteigenden Gang entlang, dann wieder dreißig oder mehr Meter hinunter. Die Biegungen, Kreuzungen und Alternativen wurden so labyrinthisch, dass sie den Überblick verloren.
    »Jemand erwartet uns«, flüsterte Hannah.
    »Darauf baue ich«, sagte Ada.
    Sie kamen in einer großen Halle heraus, die an ihrer breitesten Stelle einen Durchmesser von vielleicht dreißig Metern hatte. Die Eisdecke war zehn Meter über ihnen, etliche andere durch Eistreppen verbundene Eingänge sprenkelten die Wände, der Fußboden war in verschiedene Ebenen abgestuft. Auf Sockeln stehende Heizkörper leuchteten orange, und verschiedenartige Lichtquellen waren mit Metallstiften an Wänden, Fußböden und Decken befestigt. Auf einer der niedrigen Plattformen lagen Kissen und dicke Tierpelze, wie es schien, um einen niedrigen Tisch voller Schalen mit Essen sowie gefüllten Krügen und Bechern. Die vier versammelten sich um den Tisch, sahen die Speisen und Getränke darauf jedoch skeptisch an.
    »Keine Angst«, sagte eine Frauenstimme hinter ihnen. »Es ist nicht vergiftet.«
    Die Frau war aus einer hohen Eistür in der Nähe der Plattform herausgekommen und schritt jetzt eine zickzackförmige Treppe zu ihnen herab. Harman hatte Zeit, sich die Haare der Frau – grauweiß, eine nahezu unerhörte Farbe, für die sich ansonsten höchstens ein paar Exzentriker entschieden – und ihr Gesicht anzusehen: von Falten gefurcht, genau wie Daeman gesagt hatte. Eine Frau, die auf solche Weise alt war, hatte keiner von ihnen jemals gesehen – außer Daeman beim letzten Burning Man –‚ und die Wirkung, die sie auslöste, verwirrte sogar Harman mit seinen neunundneunzig Jahren.
    Abgesehen von ihrem offenkundigen Alter war die Frau durchaus attraktiv. Ihr Gang war energisch, und sie trug eine ganz normale blaue Hemdbluse, eine Kordhose und feste Stiefel. Der einzige Anflug von Exzentrizität war der rote Wollumhang über ihren Schultern. Der Schnitt des Umhangs war kompliziert; er fiel nie in schlichten Falten. Als sie ein, zwei Meter von ihnen entfernt auf die Plattform trat, bemerkte Harman den dunklen Metallgegenstand in ihrer rechten Hand.
    Als würde sie das Ding selbst auch gerade zum ersten Mal bemerken, hob sie es ihnen entgegen. »Weiß jemand von euch, was das hier ist?«
    »Nein«, sagten Daeman, Ada und Hannah in einem leisen Chor.
    »Ja«, sagte Harman. »Eine Waffe aus dem Untergegangenen Zeitalter.«
    Die anderen drei sahen ihn an. Sie hatten Waffen im Turin-Tuch-Drama gesehen – Schwerter, Lanzen, Schilde, Bogen und Pfeile –, aber nichts derart Maschinenartiges wie dieses stumpfe schwarze Ding.
    »Richtig«, sagte die Frau. »Man nennt es ›Pistole‹, und es tut nur eins – es tötet.«
    Daeman trat einen Schritt auf die alte Frau zu. »Willst du uns töten? Hast du uns den ganzen weiten Weg hierher gebracht, um uns zu töten?«
    Die alte Frau lächelte und legte die Waffe auf den Tisch neben eine Schale mit Orangen. »Hallo, Daeman«, sagte sie. »Freut mich, dich wiederzusehen, obwohl ich nicht weiß, ob du dich noch an mich erinnerst. Bei unserer letzten Begegnung befandest du dich in einem ziemlich fortgeschrittenen Stadium der Trunkenheit.«
    »Ich erinnere mich an dich, Savi«, sagte Daeman. Sein Ton war kühl.
    »Und ihr alle«, fuhr die alte Frau fort, »Hannah, Ada, Harman … willkommen. Du bist den Hinweisen sehr hartnäckig nachgegangen, Harman.« Sie setzte sich auf die Pelze, lud sie mit einer Geste ein, ihr Folge zu leisten, und die vier nahmen einer nach dem anderen um den niedrigen Tisch herum Platz. Savi nahm sich eine Orange, bot sie ihnen an und begann sie mit einem spitzen

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