Iluminai - Das Zeichen der Drachenhüter (Iluminai - Kabal Shar) (German Edition)
„Wir haben nicht sehr viel Zeit. Es könnte sein, dass wir verfolgt werden.“
Der Himmelsmeister sah die Lichtfee einen Augenblick lang kritisch an. „Dann müssen sich die Zeiten sehr verschlimmert haben“, murmelte er und machte sich an die Arbeit.
Miray und Lucy brachten die Pferde an Bord. Komischerweise sträubte sich keines der Tiere über das schmale Fallreep auf das sanft schlingernde Deck zu gehen. Lucy spürte kurz darauf selbst, woran das liegen mochte.
An Bord des Schiffes überkam sie eine tiefe Ruhe, als wären auf einmal alle Sorgen von ihr abgefallen. Sie sah die Dinge so klar, wie nie zuvor in ihrem Leben und hatte das innige Gefühl, mit allem und jedem versöhnt zu sein.
Der alte Zauber, der auf dem Schiff des Himmelsmeisters lag, schien alle Passagiere sofort in seinen Bann zu ziehen. Der Himmelsmeister selbst war damit beschäftigt, durch den Leuchtturm zu laufen und große Pakete aus einem der Räume an Bord des Schiffes zu bringen. Lucy wunderte sich, dass sie sie nicht selbst bei ihrem Erkundungsgang entdeckt hatte.
Dann kontrollierte er die Takelage und die Segel des Schwanenschiffes, und als alle an Bord standen und ihm erwartungsvoll zusahen, kam er schließlich über das Fallreep und holte es ein.
„Was ist mit euren Freunden dort oben?“, wollte er wissen und deutete mit einem Kopfnicken zu dem schwarzen Drachen hinauf.
„Sie werden uns folgen, wenn wir ablegen“, erklärte Dari.
„Einen Drachen sieht man in diesen Tagen selten“, kommentierte der Himmelsmeister und lief zur Brücke hinauf, wo das weiße Steuerrad in der Sonne funkelte.
Langsam hob das Schwanenschiff die Flügel und breitete die großen Schwungfedern aus, die im Licht strahlend weiß aufleuchteten. Der Himmelsmeister kurbelte an dem Steuerrad, und das Schiff begann sich langsam aus der Zangenform zu lösen. Mit einem behäbigen Knarren und Knirschen, drehte es sich anmutig mit dem Bug nach vorne und driftete vorsichtig über die rundlichen Wolken in die Luft über den Gipfeln des Bergmassivs hinaus.
Das Wolkenmeer breitete sich mit einem gerippten Federwolkenmuster weit bis zum Horizont hin aus, und das Schiff begann Fahrt aufzunehmen.
Miray und Dari stellten sich in den Bug und sahen den Wolken dabei zu, wie sie durch das Schiff zerteilt an der Reling vorbeiflossen, beinahe wie richtiges Wasser.
Jonkanur war in die Luft geschnellt und segelte über ihnen am Himmel entlang. Hier und dort sah man die Gipfel der Berge aus dem Wolkenmeer ragen. Sie wirkten wie kahle, teils mit Schnee bedeckte, Inseln, an denen das Schwanenschiff in gebührendem Abstand vorbeisegelte.
„Man muss in diesen Gewässern ein bisschen vorsichtig sein!“, rief der Himmelsmeister seinen neuen Gästen zu. „Hier gibt es eine Menge Berge, und die können dem Schiff gefährlich werden. Dahinter werden wir schneller segeln, dort stört uns nichts mehr.“
„Was liegt hinter den Bergen?“, wandte sich Miray mit gedämpfter Stimme an Lucy.
„Soviel ich weiß, sind dahinter die Schluchten. Aber wir werden sie nicht sehen, solange das Wolkenmeer sie bedeckt.“
38. Die weißen Greife
Sie segelten den ganzen Vormittag langsam zwischen den Bergen Richtung Kutraijas Grenzen dahin. Das Schwanenschiff machte gleichmäßige Fahrt. Die Taue und Planken ächzten unter dem Wind und den Wellen, die die Wolken, beinahe wie auf einem richtigen Meer, verursachten. Einmal verdichteten sich die Schleier zu dunklen Türmen, und gleich darauf drifteten sie durch dicken, grauen Nebel, der seine Feuchtigkeit überall hinterließ. Dann zogen sie wieder über eine weite Fläche glatter Wolkenfelder dahin und auch die Berggipfel wurden langsam seltener.
Zu Mittag bat der Himmelsmeister seine Passagiere unter Deck, wo noch mehr Sehenswertes auf die Reisenden wartete. Im Bauch des Schwanenschiffes gab es eine Reihe kleiner, aber heller Räume, die mit einem breiten Gang untereinander verbunden waren. Auch hier war alles aus weißem Elfenholz gezimmert worden, und eine sanfte Helligkeit sorgte für Licht, obwohl die Räume keine Fenster besaßen.
„Ich habe nur Brot und etwas Saft für euch“, entschuldigte sich das kleine weißhaarige Männlein, als sie sich in einem Raum mit einem Tisch und Schränken an den Wänden versammelt hatten.
Der Himmelsmeister legte zwei große Brotlaibe auf den Tisch, ein Messer dazu und stellte eine Karaffe roten Saft daneben.
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