Im Abgrund der Ewigkeit
das nicht gewesen sein!“
Weinhold starrte Gerti entgeistert an. Dann atmete er geräuschvoll durch. „Frau Wolters, Sie sehen selbst, so kommen wir hier nicht weiter. Frau Stolzen weigert sich, zu kooperieren.“
Die Polizistin legte ihren Stift geräuschvoll auf den Tisch und nickte. „Ja“, sagte sie. „Sie haben recht. Ich fürchte, wir müssen sie mit ins Präsidium nehmen, um dort ihre Aussage für die Staatsanwaltschaft zu protokollieren.“
„Warum soll ich aufs Präsidium? Ich habe nichts getan. Ich bin eine alte Frau. Ich bin krank. Ich gehe nicht mit. Auf keinen Fall! Hören Sie?“ Gertis Stimme war immer hysterischer geworden. Bei ihren letzten Worten griff sie sich erneut ans Herz und fing an, heftig zu schnaufen.
Weinhold stand auf. „Sie hatten Ihre Chance. Sie kommen jetzt mit!“ Auch die Polizistin erhob sich, trat auf Gerti zu und packte sie am Arm, in der Absicht, sie hochzuziehen.
„Nein, nein! Ich will nicht!“, jammerte Gerti. Sie versuchte, sich auf ihrem Stuhl festzuklammern.
In diesem Moment wurde ein Schlüssel in das Schloss der Haustür gesteckt. Diese schwang auf und zwei Personen betraten Gertis Haus. Der Hund im Garten bellte und fing an zu wedeln.
Der korpulente Mann in schwarzen Jeans und dunklem Hemd blieb nach wenigen Schritten stehen. Die junge Frau warf eine Reisetasche, die sie in der Hand hielt, achtlos zu Boden und eilte quer durch den Raum zu Gerti. Die junge Frau lachte, sie schien bester Laune zu sein. Ihre feuerroten Locken wallten bis weit über ihre Schultern herab und in ihren grünen Augen leuchtete der Schalk.
Weinhold blieb wie angewurzelt stehen und musterte vollkommen überrascht die Neuankömmlinge. Die Polizeibeamtin ließ Gerti los und ging einen Schritt zur Seite.
Die junge Frau mit den roten Haaren drängelte sich an den Polizisten vorbei und schmiss ihre Arme um Gerti.
„Lilith, da bist du ja endlich!“, sagte Gerti. „Wie war’s in Paris?“
Lilith lachte jauchzend auf. „Paris ist ein einziges Fest, Gerti! Es war einfach wundervoll! Ich muss dir alles erzählen!“
Weinhold hatte sich von seinem Schreck erholt. „Sie sind Frau Stolzen?“ Seine Stimme klang drohend. „Sie sind Frau Lilith Stolzen?“
„Klar. Wer soll ich denn sonst sein?“, meinte Lilith. Sie hielt immer noch Gerti fest an sich gedrückt, hatte ihren Kopf jetzt aber in Weinholds Richtung gedreht und musterte ihn leicht spöttisch.
„Und wer sind Sie ?“, fragte sie zurück.
Weinholds Gesicht lief schlagartig rot an. „Ich bin Hauptkommissar Steffen Weinhold. Und ich leite die Untersuchung.“
„Schön“, mischte sich der korpulente Mann ein. Er war inzwischen näher gekommen und stand nur noch eine Armlänge von den zwei Polizisten entfernt. „Dann haben Sie also das gestohlene Motorrad von Frau Stolzen bereits gefunden? Das ging ja wirklich schnell. Ich gratuliere.“
Weinhold schnappte nach Luft. „Dürfte ich erst einmal nach ihren Personalien fragen?“
Der korpulente Mann lächelte. „Ich weiß zwar nicht, wofür das gut sein soll, aber gerne. Ich bin Julian Becker, eigentlich Dr. Julian Becker, und wenn Sie es ganz genau wissen wollen, Dr. jur. Julian Becker.“
Die Polizistin griff nach ihrem Block, klappte ihn zu und verstaute ihn verstohlen in ihrer Tasche.
„Gut, dass du kommst, Julian“, sagte Gerti. „Dieser Herr hier war regelrecht unfreundlich, um nicht zu sagen, flegelhaft, zu mir.“
Weinholds rotes Gesicht wurde aschfahl. „Ich führe eine Untersuchung durch, Herr Dr. Becker.“
„Das sagten Sie bereits“, meinte Julian. „Eine Untersuchung wegen des Motorraddiebstahls, wenn ich richtig verstehe? Und deswegen haben Sie die alte Dame hier in Verlegenheit gebracht?“
„Nicht deswegen“, mischte sich die Polizistin ein. „Wir untersuchen mehrere gewaltsame Todesfälle.“
Julian stemmte seine Hände in die Hüften und musterte Weinhold kalt. „Sind sie noch ganz bei Trost? Sie können doch nicht annehmen, dass Frau Gerti Stolzen in irgendwelche Verbrechen verwickelt ist! Sie ist die reizendste alte Dame, die ich kenne!“
Weinhold konnte sich nicht mehr zurückhalten. „Wir haben Indizien. Wir haben Augenzeugen. Wir können lückenlos nachweisen, dass Frau Lilith Stolzen gestern auf der A7 in mehrere folgenschwere Unfälle verwickelt war, die von ihr verursacht wurden und in deren Verlauf es auch mehrfach zum Schusswaffengebrauch kam.“
Julian blickte erstaunt von Weinhold zur Polizistin und wieder zurück.
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