Im Abgrund der Ewigkeit
Habseligkeiten verstaut hatten. Eine fieberhafte Stimmung hing in der Luft, niemand schenkte uns Beachtung.
Wir hielten vor der Herberge an und ich rutschte schwerfällig aus dem Sattel, wobei ich versuchte, meine verwundete Schulter zu schonen. Gemeinsam stiegen wir die Stufen empor und betraten den Gastraum. Ich setzte mich auf einen der Stühle und Johannes wollte mir dabei helfen, den Poncho abzustreifen.
„Lass mich das machen“, ertönte eine Stimme.
Johannes hielt in seiner Bewegung inne und drehte sich halb zu Gundula um, die aus der Küche kam.
„Lilith, du bist verwundet, nicht wahr?“, fragte sie.
„Nur ein Streifschuss“, antwortete ich.
„Und Clement?“, fragte sie weiter. „Kommt der auch noch?“
Stumm schüttelte ich den Kopf.
Gundula blickte mich eine Zeitlang fragend an, und als ich nichts weiter erzählte, meinte sie entschlossen: „In Ordnung. Johannes, wenn es dir nichts ausmacht, könntest du dich um die Pferde kümmern. Ich sehe inzwischen nach Liliths Wunde.“
„Ja, ich glaube, das ist eine gute Idee“, sagte Johannes. Er drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Backe, bevor er zu unseren Tieren hinausging.
Gundula trat zu mir und betrachtete das Einschussloch im Wollstoff. Vorsichtig wickelte sie meinen Schal ab und zog mir dann behutsam den Poncho aus. Sie verließ kurz den Raum, um nach einer Weile mit einer Schüssel heißem Wasser, einer Schere und Verbandszeug zurückzukommen. Wortlos streifte sie mir die Lederjacke ab, schnitt den Ärmel meines Hemdes herunter und begann, die Wunde zu säubern. Obwohl sie dabei sehr sanft vorging, schmerzte es höllisch.
„Und?“, fragte ich.
Gundula arbeitete schweigend weiter.
„Ist die Verletzung schlimm?“
„Ein böser Streifschuss. Eigentlich nicht lebensgefährlich, aber er muss dir sehr weh tun.“
„Es geht“, antwortete ich mit zusammengebissenen Zähnen.
„Tapferes Mädchen.“
„Draußen auf der Straße ist so ein Betrieb. Was ist los?“, wechselte ich das Thema.
„Die gehen fort.“ Gundula war mit dem Auswaschen meiner Wunde fertig und legte mir einen Verband an.
„Ich sehe, dass die Bewohner fortgehen. Aber wohin?“
„Über den Pass. Dahin, wo alles warm und schön ist. Wo man für immer in Frieden und Ruhe lebt.“
Ich begriff nicht sofort, was sie meinte. „Erkläre mir das genauer.“
„Drüben, jenseits der Berge, ist ein Land, in dem die Menschen sich nicht gegenseitig umbringen. Davon hatte dir doch Cecilia schon erzählt. Dort werden sie frei sein.“
Langsam begann ich zu verstehen. „Wie heißt dieser Ort?“
„Das wissen wir nicht. Wie haben ihn Eden getauft, weil er wie das Paradies sein muss. Jetzt, wo die Rattenmenschen zumindest für eine gewisse Zeit weg sind, besteht nicht die Gefahr, unterwegs abgefangen zu werden.“
„Verstehe“, sagte ich. „Und du und Cecilia – ihr wollt nicht mit?“
Gundula hatte ihre Arbeit beendet und betrachtete kritisch ihr Werk. „Du musst dich noch ein paar Tage schonen, aber in ein, zwei Wochen dürftest du den Arm wieder ganz normal bewegen können.“
„Danke“, sagte ich. „Aber du hast mir nicht auf meine Frage geantwortet.“
„Cecilia und ich bleiben“, stellte Gundula fest. „Und Arne wird auf uns aufpassen.“
„Was hält euch hier, in diesem gottverlassenen Nest?“
Gundula legte mir die Lederjacke über die Schultern, nahm meinen Poncho und war im Begriff, in sorgfältig zusammenzufalten.
Ich packte sie mit meiner gesunden Hand am Arm, um sie zum Aufhören zu bewegen. „Irgendwann werden sich die überlebenden Rattenleute neu organisieren und zurückkehren. Euch bleibt nur dieses kleine Zeitfenster.“
„Ach“, sagte Gundula und seufzte. „Wir haben es früher geschafft, hier zu überleben und das werden wir auch in Zukunft. Ich habe keine Angst vor Bedrohungen.“
Ich konnte so viel Sturheit nicht begreifen. „Das ist doch unvernünftig, Gundula. Für euch ist es das Beste, Snowhill auch zu verlassen.“
Zornig wischte Gundula meine Hand von sich. Sie begann, meinen Poncho zwischen ihren Fingern zusammenzuknüllen. „Du kennst die Gründe, warum ich nicht gehen kann. Ich habe es gleich gesehen, als du durch die Tür kamst. Du erinnerst dich wieder an alles. Du weißt ganz genau, was hier los ist!“ Gundula schmiss den Poncho mit einer wütenden Bewegung auf den Boden. „Das Ding ist absolut verdreckt. Das muss gewaschen werden!“
„Was hast du?“, fragte ich.
Gundula schüttelte ihren Kopf
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