Im Abgrund der Ewigkeit
vorbeizustürmen.
Johannes griff grob in die Zügel, erwischte die Trense und rief laut „Brr.“
Das Tier schlug nach hinten aus, wieherte, kam aber zum Stehen.
„Lasst mich!“, rief Cecilia weinend. „Es liegt nur an mir! Meine Mutter und Arne sollen gehen. Ich komme schon alleine in Snowhill zurecht.“
„Moment“, sagte ich. „So funktioniert es einfach nicht.“
„Aber…“, setzte Gundula an.
„Kein Aber !“, unterbrach ich sie. Ich wandte mich wieder dem Tor zu, langte unter meinen Schal, löste mein Medaillon und nahm es heraus. Sofort legten sich einzelne winzige Nebeltropfen auf die Diamanten, deren Farben milchig und trüb schimmerten. Behutsam betätigte ich den Mechanismus. Der Deckel schwang auf. Aus weiter Ferne, aus einem anderen Leben, betrachteten mich die Augen zweier Kinder. Tränen stiegen in mir hoch, Verzweiflung erfüllte mich, der schreckliche Verlust ließ mich erbeben.
Die Melodie hatte sich bereits geformt. Sie brachte die Bilder mit, die Sommertage und das Lachen meines Sohnes. Und ohne Vorwarnung ertönte ein stählernes Krächzen, als das Schloss sich öffnete und ein Flügel des Tores weit und einladend aufschwang.
Ich senkte meinen Kopf und wischte mir über die Augen, bevor ich mich zu den anderen umwandte. „Ihr könnt gehen“, sagte ich.
Gundulas Blick war fest auf den Durchgang gerichtet. Sie beugte sich im Sattel vor, gab ihrer Tochter einen Schubs und Cecilia ritt langsam auf das Portal zu.
„Cecilia“, sagte ich.
Sie zügelte ihr Pferd und betrachtete mich beinahe erschrocken.
„Keine Angst“, sagte ich. „Die Passage ist auch für dich frei. Aber ich muss dir noch eine Botschaft überbringen.“
Cecilia runzelte ihre Stirn. „Eine Botschaft? Von wem?“
„Von deinem Vater“, antwortete ich, „er weiß alles, was du hier getan und durchlitten hast… Und“, fügte ich hinzu, „er ist unheimlich stolz auf dich.“
„Mein Vater?“, fragte sie ungläubig.
„Ja. Er liebt dich abgöttisch. Und jetzt geh.“
Cecilia setzte sich erneut in Bewegung. Bald war sie im weißen Nebel verschwunden und das Hufgeräusch ihres Pferdes verklang. Arne folgte ihr, ohne zu zögern.
Gundula blieb bei mir und Johannes. „Wollt ihr nicht mitkommen?“, fragte sie. „Eden wartet auf euch.“
„Eines Tages“, sagte ich, „werden wir uns wiedersehen. Aber bis dahin haben Johannes und ich noch einiges zu erledigen.“
Gundula richtete ihre Aufmerksamkeit auf das geöffnete Portal. „Wird Asmodeus euch helfen?“
„Ganz sicher“, sagte ich.
„Dann erzähle ihm von mir und von Cecilia. Und teile ihm mit, dass ich…“, sie fand die richtigen Worte nicht mehr.
Ich langte nach oben, drückte zum Abschied sanft ihre Hand. „Sei unbesorgt. Er wird alles erfahren. Aber jetzt ist es auch für dich an der Zeit, diese Zwischenwelt hinter dir zu lassen.“ Ich lächelte und fügte leise hinzu: „Du hast genug gebüßt.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, schlug ich ihrem Pferd auf die Seite. Es trabte leicht an und wurde mitsamt Gundula vom Nebel verschluckt.
„Das Tor ist noch offen“, sagte ich zu Johannes.
Johannes trat an sein Pferd und schwang sich scheinbar schwerelos in den Sattel. „Dann mach es doch zu. Du willst doch nicht, dass hier jeder hineinmarschiert, oder?“
Der Sattel quietschte unter meinem Gewicht. Ich verstaute das Medaillon an seinem Platz. „Eine einmalige Chance“, sagte ich. „Der Weg nach Eden ist manchmal etwas steinig.“
„Steine stören mich nicht. Und bevor wir uns dort endgültig niederlassen, will ich erst noch etwas leben“, gab mir Johannes zur Antwort.
Ich grinste. „Eine gute Idee!“
Das Tor schloss sich krachend. Ich trieb mein Pferd an. Es trabte los und fiel in einen schnellen Galopp. Johannes stieß einen Jubelruf aus, gab seinem Schecken die Sporen und wir schossen über die Ebene dahin, zurück nach Snowhill.
6
W ir hatten den Pass verlassen und ritten hinaus auf die schneebedeckte weite Ebene. Unsere Pferde trotteten im Schritt am langen Zügel nebeneinander her. Ab und zu blickte ich zu Johannes, er lächelte sein Jungenlächeln und seine Augen leuchteten vor Freude. Wir hatten in der Zwischenwelt alles erledigt. Der Weg nach Hause in unser richtiges Leben war uns nicht länger versperrt. Sogar das Wetter teilte unsere gute Laune. Die Sonne glitzerte auf dem Schnee - leuchtend wie auf Milliarden von Diamanten.
Von Ferne ertönte ein leises, kaum zu vernehmendes Rauschen. Ich
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