Im Abgrund der Ewigkeit
Koffer zu mir. Umständlich fingerte ich an dessen Verschluss, der schließlich nachgab. Der Koffer klappte auf.
Zwei Feldflaschen lachten mich an. Ich riss die eine heraus, schraubte den Verschluss auf, und setzte die Öffnung gierig an meine Lippen. Klares Wasser bohrte sich schmerzhaft durch meine Kehle. Ich hustete, darauf achtend, möglichst keinen Tropfen zu verschütten. Erneut hob ich die Flasche und trank – diesmal ruhiger und in kleinen, vorsichtigen Zügen.
Die Flasche war leer. Ich schmiss sie achtlos neben mich in den Sand.
Ich nahm die zweite Flasche heraus und hängte sie mir um den Hals, bevor ich weiter in der Tasche kramte. Ein verknautschter Hut kam zum Vorschein – braun, mit breiter Krempe und einem ledernen Kinnband. Ich setzte ihn auf und zog die Schnur fest. Der wenige Schatten in meinem Gesicht fühlte sich an wie Glückseligkeit pur.
Ein drittes Mal tauchte meine Hand in den Reisekoffer. Meine tastenden Finger fanden noch einen Zettel und eine kleine Pappschachtel. Ich nahm sie heraus.
Als erstes widmete ich mich dem Papier. Es war von hoher Qualität. Mit einem Füller hatte jemand deutlich folgende Worte darauf geschrieben: Lilith, benutze den Kompass und gehe genau in Richtung Nord-Ost. Dort wirst du in einigen Stunden wieder auf die Bahnlinie treffen. Teile dir dein Wasser gut ein. Und pass auf dich auf!
Unter dieser Anweisung stand ein einzelner Name. Asmodeo .
Ich wiederholte die Silben langsam in meinem Geiste und lauschte deren Klang:
Asmodeo.
Eine vage Erinnerung durchzog mein Gedächtnis. Ich wusste, ich kannte diesen Namen und eine quälende Sehnsucht ergriff von mir Besitz. Handelte es sich bei diesem Asmodeo vielleicht um den Alten, der mir geholfen hatte? …Nein, ganz sicher nicht.
Asmodeo war jemand anderes.
Jemand ganz besonderes.
Jemand… ich zermarterte mein Hirn… - jemand, mit dem ich untrennbar verbunden gewesen war, auf schicksalhafte Art, für immer und ewig. Aber wann und wo?
Ich hatte alles vergessen.
Ich kannte nicht einmal mich selbst.
„Asmodeo“, flüsterte ich und allein der Name schien mir Kraft zu geben.
Ich nestelte an der kleinen Schachtel und entdeckte einen grünlackierten Kompass darin. Ich wartete, bis sich seine Nadel beruhigt hatte, erhob mich und begann meinen Weg in Richtung Nord-Ost. Meine Erschöpfung spürte ich nicht mehr. Vor mir lag ein Ziel. Und ich war mir sicher, dass es für mich Sinn machte, dorthin zu gelangen.
Irgendwo würde ich Asmodeo finden.
Und mich erinnern.
5
N ach unzähligen Stunden durch den lockeren Sand, der nachgab, sobald ich einen Fuß auf ihn setzte, glich es einer Wohltat, auf dem festen Bahndamm zu laufen.
Die Schienen führten ins Nichts. Zwei Linien, die sich in einem fernen Punkt trafen, den ich wohl nie erreichen würde. Trotzdem fühlte ich mich gut. Oder zumindest besser, als vorher.
Die Gleise gaben mir Halt. Sie bewiesen, dass es in dieser trostlosen Hölle eine Art Ordnung geben musste. Was anfing, musste auch einmal enden. Ich war fest entschlossen, nicht aufzugeben.
Immer, wenn die Angst dennoch in mir aufstieg, wenn mich Zweifel und Panik erfassten, griff ich in die Tasche meiner Jeans und holte den Zettel hervor. Den kurzen Brief, den mir Asmodeo geschrieben hatte. Inzwischen kannte ich den Inhalt auswendig. Jeder Schwung der einzelnen Buchstaben war mir vertraut. Ich las ihn trotzdem immer und immer wieder. Ich sagte ihn mir laut vor. Er stellte meinen einzigen Trost dar. Obwohl es kein Leben gab, soweit mein Auge reichte, war ich nicht allein. Jemand wachte über mich, jemand sorgte sich um mich, auch wenn ich diesen Jemand nicht näher bestimmen konnte.
Es dauerte lange, bis es mir bewusst wurde. Aber die Haut in meinem Gesicht wurde etwas kühler. Die Andeutung eines Windes kam auf und sie strich wunderbar erfrischend über meinen Körper. Ich hielt inne, schloss meine Augen und drehte meinen Kopf in die fast unmerkliche Brise. Stetig aber deutlich nahm sie zu.
Als ich meine Augen öffnete, sah ich weit entfernt, mitten über den Gleisen, etwas Weißes aufblitzen - erst von der Größe einer Stecknadel, dann wurde es langsam größer. Der Lufthauch an meiner Wange fühlte sich jetzt stärker an und der Punkt wuchs zu einem Dreieck heran, das über die Schienen auf mich zu schwebte.
Ich vermochte ein leichtes Knattern zu hören - als würde der Wind versuchen, mit mir zu sprechen.
Mit zusammengekniffenen Augen versuchte ich zu ergründen, was auf mich
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