Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
Vom Netzwerk:
diesem Ausweichmanöver geriet einer der Reifen des Kinderwagens über die Bordsteinkante. «
    Sie stockte und schien abzuwägen, ob sie mir zumuten konnte, was nun kam.
    Mit einer halbherzigen Kopfbewegung forderte ich sie auf, weiter zu sprechen. Ich war mir nicht sicher, ob ich den For t gang der Geschichte würde ertragen können.
    » Die Frau konnte den Wagen nicht halten, er kippte Richtung Straße. Das Baby fiel heraus und geriet Ihrem Mann direkt unters Auto. «
    Irgendwie gelangte meine Hand vor meinen Mund, und ich biss mir in die Handfläche, um nicht zu schreien. Mein Kopf begann ein Eigenleben und bewegte sich unaufhörlich von einer Seite zur anderen. » Nein … «, brachte ich schließlich heraus. » Sagen Sie, dass das nicht wahr ist. «
    Sie atmete tief durch. » Leider ist es wahr, Frau Gaspary. «
    » Was ist mit dem Baby … ich meine, was …? «
    » Das Baby ist kurz nach dem Unfall seinen Verletzungen erlegen. «
    » Sie müssen sich irren. « Ich weiß nicht, woher ich die Kraft nahm, überhaupt noch ein Wort herauszubringen.
    » Es kann sich dabei nicht um Gregor gehandelt haben. Mein Mann hätte … « Mir versagte die Stimme.
    » Sie können alles in den Unterlagen Ihres Mannes nachlesen, die wir in seinem Schreibtisch gefunden haben «, sagte sie leise, aber bestimmt. » Wir werden sie Ihnen so schnell wie möglich zurückbringen. «
    Kai-Uwe Andres räusperte sich. » Unter den geschilderten Umständen erscheint uns ein Unfall als am wenigsten wah r scheinliche Todesursache Ihres Mannes. «
    Mit einem letzten Rest an Kraft bäumte ich mich dagegen auf. » Und wenn die Mutter des Babys … wie soll sie damit fertig geworden sein? Damit kann man gar nicht fertig werden. Vielleicht hat sie Gregor so sehr gehasst, dass sie … «
    » Wir ermitteln in alle Richtungen, Frau Gaspary. «
    5
    Am Telefon hatte sie gesagt, ich habe Glück, jemand habe ein paar Minuten zuvor abgesagt.
    » Was führt Sie zu mir? «, fragte sie, als ich ihr zwei Stunden später gegenüber saß.
    Völlig verstört betrachtete ich Eliane Stern, die mir in diesem Moment als meine einzige Hoffnung erschien. Graue, kinnlange Haare umrahmten ein Gesicht, dessen Falten beruhigend auf mich wirkten. Sie zeugten von Lebenserfahrung. Ich schätzte sie auf Ende fünfzig. Mein Blick wurde magisch angezogen von dem Ehering, den sie am linken Ringfinger trug. Unverwandt starrte ich darauf. » Ich habe meinen Mann verloren «, sagte ich schließlich mit trockener Kehle.
    Sie sah mich ruhig abwartend an.
    » Gestern … es ist gestern passiert. « Es war, als würde ich mich im Wust meiner Gedanken verirren.
    » Wie ist es passiert? «
    » Er ist vom Balkon seiner Kanzlei gestürzt. Die Polizei glaubt, dass es sich um einen Suizid handelt. «
    » Was glauben Sie? «
    » Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Bis heute Morgen war ich mir so sicher, dass es sich nur um einen Unfall handeln kann, dass er gar keinen Grund hatte, sich selbst zu töten, aber jetzt … « Ich schlug die Hände vors Gesicht und schwieg.
    Eliane Stern, Psychotherapeutin mit einer Spezialisierung auf Trauerbegleitung, ließ mir Zeit. » Was hat Sie verunsichert? «, fragte sie nach einer Weile.
    » Die Kripobeamten haben mir einen Grund genannt, der … « Ich sah auf und suchte ihren Blick. » Im Juli vergangenen Jahres hat mein Mann mit seinem Wagen ein Baby überfahren. « Ich erläuterte ihr die genauen Umstände des Unfalls. » Auch wenn ihn keine Schuld traf, ist es gut möglich … vielleicht auch wahrscheinlich, dass er sich trotzdem selbst die Schuld gegeben hat und damit nicht fertig wurde. « Ich erzählte ihr von Gregors Ernsthaftigkeit, von seinem Sinn für Gerechtigkeit und seiner Sensibilität.
    » Sie sagen, die Kripobeamten hätten Ihnen diesen möglichen Grund genannt. Demnach wussten Sie nichts von dem Unfall? «
    » Nein «, antwortete ich leise.
    » Hat Ihr Mann Ihnen einen Abschiedsbrief geschrieben? «
    Ich schüttelte den Kopf. » Es ist, als hätte ich ihn gleich zwe i mal verloren, einmal durch seinen Tod und dann durch diesen Unfall, von dem er mir nichts erzählt hat. Einerseits wehrt sich alles in mir gegen die Vorstellung, dass er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt haben soll, andererseits empfinde ich den Tod dieses Babys als so entsetzlich, dass ich … obwohl … ihn traf keine Schuld. «
    » Haben Sie Kinder? «
    » Wir haben eine Tochter, Jana, sie ist eineinhalb. « Ich starrte auf meine Hände, die nass von meinen

Weitere Kostenlose Bücher