Im Auftrag der Lust
Erst als der verschwitzte Mann mit dem Drei-Tage-Bart die Hand ausstreckte und auffordernd die Finger krümmte, ging ihm ein Licht auf. Er legte einen Hundert-Dollar-Schein in die Handfläche und verließ das Taxi so schnell wie möglich. Hinter ihm hörte er die Reifen über den staubigen Asphalt der Straße knirschen. Und kurz darauf war Alan allein.
Er atmete befreit auf und schulterte die Sporttasche, in die er das Nötigste eingepackt hatte. Genauso wie Sara wusste er nicht, was ihn erwarten würde, sicher war nur, dass er sie nicht allein lassen würde.
Er hatte sie tags zuvor noch, ganz Gentleman, zum Flughafen gebracht und versprochen, sich in der Agentur um alles zu kümmern. Tatsächlich hatte er das auch getan – allerdings per Mail vom Flugzeug aus. Er hatte die Vertretung in die Hände der Sekretärin gelegt und beim Anwalt von Mr Erie eine zusätzliche Woche herausschlagen können. Sara wusste von alldem nichts, und Alan war froh darum. Wenn sie wüsste, dass er wie eine verdammte Glucke hinter ihr hergereist war, um ein Auge auf sie zu haben, hätte sie ihm wahrscheinlich die Meinung gesagt, wenn nicht noch Schlimmeres.
Alan musste unwillkürlich schmunzeln, als er an eine Sara dachte, die ihm wie eine Furie entgegenkam. Aber er konnte nicht anders – dieser Jared gefiel ihm nicht, und Alan wollte sichergehen, dass Sara sich nicht wieder auf etwas einließ, was sie nicht bewerkstelligen konnte.
Er machte sich auf in Richtung des Gebäudes. Nach nur wenigen Schritten erhob sich das Weingut wie eine protzige Burg mitten in der Landschaft. Es hatte unglaublich viel Recherche gebraucht, bis er McLaughlins Wohnsitz gefunden hatte, aber jetzt war er sich sicher, dass er hier richtig war.
Fackeln brannten vor dem Eingang, und das Licht reichte aus, damit Alan den Weg über die staubigen Wege finden konnte. Er blieb mit Absicht vom Haupteingang fern und lief um die Mauer herum. Trotz der Abgeschiedenheit ging es hier lebhafter zu, als Alan gedacht hätte. Einige Autos fuhren zum Gebäude und durch das Tor. Durch seine Position konnte Alan nicht sehen, was genau die Insassen dort taten, daher umrundete er das Gebäude ganz. Die Mauer wurde hier niedriger, und Alan konnte sie mühelos überwinden. Er fand sich in einem großen Hof wieder, auf der Kuppe eines Hügels. Girlanden mit angeschraubten Glühbirnen wanden sich um aufgestellte Holzpfosten und tauchten die Pflastersteine und Weinreben in weiches Licht. Ein paar Motten hatten sich verirrt und wurden von den Lichtern angezogen.
Im Licht der Glühbirnen bewegten sich einige Männer und Frauen. Alan sah sich rasch nach einem Versteck um, als er sie bemerkte, aber bevor er sich in eine der Nischen in der Mauer drücken konnte, legte sich eine warme Hand auf seinen Arm. »Warum bist du noch nicht umgezogen?«, fragte ihn eine weiche weibliche Stimme in akzentfreiem Englisch.
Alan wandte sich ihr zu und sah sich einer zierlichen kleinen Frau gegenüber. Sie war drall, unter dem Stoff ihrer einfachen weißen Toga konnte er deutlich die Rundungen ihrer Hüften und der festen Brüste ausmachen. Darunter war sie offensichtlich nackt – der Stoff schmiegte sich derart eng an ihren Körper, dass nichts darunter verborgen blieb. Ihr Haar war rot. Das Gesicht war hinter einer Maske versteckt, geschmückt mit Pfauenfedern, die ihre grünen Augen leuchten ließen. Nur ihre Mundpartie war frei geblieben. Sie wirkte nicht feindselig, nur neugierig.
»Ich hatte noch keine Zeit«, erwiderte Alan schnell, ohne zu wissen, was sie meinte. Aber wenn sie dachte, dass er dazugehörte, war es für ihn einfacher, hier hereinzukommen.
»Ah, du hattest auch solche Probleme mit dem Verkehr, was? Dann weißt du ja gar nicht, wo du deine Maske herbekommst. Komm mit, ich zeige es dir.« Ohne einen Anflug von Scham oder Verlegenheit umfasste sie seine Hand und zog ihn zu einem nicht ausgeleuchteten Bereich des Hofgartens. Dort standen verschiedene Tische und auch ein kleines Häuschen, fast vollkommen von Weinranken bedeckt.
»Was passt wohl zu dir?«, fragte sie leise kichernd und hielt verschiedene Masken hoch. Alan ließ seinen Blick über die Masken schweifen. Im Halbdunkel war es schwierig, Details auszumachen, aber die groben Formen erkannte er allemal. Es gab Tiermasken, Sonnen- und Mondmasken, schlichte, unangemalte Masken …
Er nahm eine mit einer langen, zum Schnabel geformten Nase auf und hielt sie vor sein Gesicht. »Nein, nein, der Pestarzt ist es sicher
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