Im Auge der Sonne: Roman (German Edition)
Tablett neben dem Bett abstellte – mit einer großzügigen und kostspieligen Auswahl an Blutwurst, Schweinekoteletts und Wein –, sagte sie: »Deine Großmutter und ich bereiten die Feier zur Namensgebung des Kleinen vor. Welch eine Freude bei all den Sorgen! Viele Freunde haben uns bereits wissen lassen, dass sie kommen und an unserem Glück teilhaben möchten. Über den Namen haben wir ebenfalls gesprochen. Da es in der Familie in Damaska Brauch ist, den erstgeborenen Sohn Uriel zu nennen, werden wir diese Tradition beibehalten.«
»Das werden wir nicht«, kam es ruhig und bestimmt von Tamar, die sich an ihrem wundervollen kleinen Jungen nicht sattsehen konnte. »Das ist mein Kind. Ich habe ihn geboren. Er ist meiner Seele entsprungen. Über seinen Namen entscheide ich.«
»Unsinn.« Hannah wollte nach dem Kind greifen, aber Tamar ließ es nicht zu. »Nein! Er gehört mir. Du wirst nicht seinen Namen bestimmen. Du wirst ihn nicht aufziehen. Nicht einmal anfassen wirst du ihn.«
»Ich bin seine Großmutter!«
»Vaters Konkubine ist schwanger. Du kannst das Kind von Saloma übernehmen. Meins jedenfalls nicht.«
Von dem lauten Wortwechsel alarmiert, stürzte Avigail in die Kammer. »Tamar, sprich rasch ein Gebet! Du wirst tun, was wir sagen. Wir müssen ihm einen Namen aus Calebs Familie geben.«
Tamar schüttelte heftig den Kopf. »Er ist nicht Calebs Kind.«
Zwei entsetzte Gesichter starrten sie an. Trotzig schob Tamar die Unterlippe vor und zupfte gleichzeitig an den Windeln des Säuglings herum. Wie sehr sie ihre selbstgerechte Großmutter und die so leicht zu beeinflussende Mutter verachtete! Wie sie sich aufspielten! Sich wichtig vorkamen. Sie würden ihr
nicht
ihren Sohn wegnehmen.
Deshalb wiederholte sie: »Dieses Kind ist nicht von Caleb«, und ergötzte sich an den ungläubigen Mienen der beiden, ehe sie, kühner jetzt, fortfuhr: »Ich bin ihm nicht weggelaufen, sondern Caleb hat mich verlassen. Er ist nach Minos gesegelt, ich sah ihn auslaufen. Da war ich noch nicht schwanger. Weil ich aber wusste, dass ich nur unter einer Bedingung wieder nach Hause konnte, habe ich mit allen möglichen Männern geschlafen – mit Seeleuten, Bauern, Reisenden, Hufschmieden. Als feststand, dass ich schwanger war, kam ich zurück. Er gehört ganz allein mir. Ihr dürft ihn nicht anfassen.«
Schweigen breitete sich aus. Eine verirrte Wespe aus dem Garten summte herum, fand nicht wieder hinaus. Avigail verzog sich stillschweigend und kam kurz darauf mit Elias zurück. Sein Gesicht drückte etwas aus, was Hannah noch nie gesehen hatte und was ihr wie ein kalter Hauch ans Herz griff. »Tamar«, brach es aus ihr heraus, »nimm zurück, was du behauptet hast. Sag, dass das Kind von Caleb ist. Sag es dreimal und flehe den Schutz der Götter an.«
Aber noch ehe Tamar die Zusammenhänge begriff, brüllte der Vater: »Meinst du vielleicht, dass ich dich, nur weil du einen Sohn hast, nicht vor die Tür setzen kann?«
»Mich vor die Tür setzen?« Sie schüttelte den Kopf und umklammerte ihren kleinen Sohn. »Wovon sprichst du?«
»Du bist eine ganz gewöhnliche Hure, und ich lasse nicht zu, dass du meinen Enkel aufziehst.«
»Würdest du wirklich deinen einzigen Enkel der Mutter berauben?«
»Er hat eine Mutter!«, brauste Elias auf. »Ihr Name ist Leah!«
Hannah und Tamar starrten Elias fassungslos an, als er fortfuhr: »Du warst Calebs Konkubine, so wie Saloma die meine ist. Und wie das Kind, das Saloma gebiert, Hannahs Kind sein wird, ist dein Sohn der von Leah. So ist es per Gesetz festgeschrieben.«
Als ihr dämmerte, welch folgenschweren Fehler sie eben begangen hatte, schrie Tamar auf: »Nein! Seine Mutter bin ich!«
»Du hast Leah des Ehemanns beraubt. Du wirst ihr nicht versagen, die Mutter des Sohnes ihres Mannes zu sein.«
»Er ist nicht der Sohn von Caleb! Ich habe mit Seeleuten geschlafen, mit Bauern, mit jungen und alten Männern – sogar mit
Ägyptern!
«
»Bei den Göttern, du Teufelin!« Elias entwand ihr das Kind und reichte es der kreidebleichen Avigail. Dann packte er Tamar bei den Haaren, zog die unaufhörlich kreischende und um sich schlagende Tochter aus dem Bett, schleifte sie durch die Kammer und hinaus in die Halle. »Nicht doch, Elias!«, schrie Hannah und lief hinterher, »halt ein! Nimm mir nicht meine Tochter weg!« Sie zerrte an seiner Kleidung, bis er ihr einen so heftigen Stoß versetzte, dass sie rückwärts zu Boden stürzte.
An der Haustür angelangt, riss er sie auf und
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