Im Auge des Orkans
einer Kugel. Er war
der letzte der Applebys.
17
Ich saß bis kurz vor sieben in der
Bibliothek, dachte über das Gelesene nach und lauschte darauf, wie das Haus zum
Leben erwachte. Gestern morgen waren mir diese Geräusche als die fröhlichen und
üblichen Zeichen dafür erschienen, daß sich der Haushalt auf einen neuen Tag
vorbereitete. Heute war alles, was ich hörte, durch mein eigenes Gefühl des
Unbehagens beeinträchtigt. Gestern hatte es noch »wir« gegen »ihn« geheißen,
gegen den Außenseiter. Jetzt befürchtete ich, daß Max Shorkeys Mörder mit uns
unter einem Dach wohnte.
Schließlich stand ich auf und legte die
Alben wieder an ihren Platz zurück. Die Briefe versteckte ich in einem Schrank
hinter alten Spielen. Ich wußte, was sie enthielten, und würde das nicht so
schnell vergessen. Es spielte keine Rolle, ob die Person, die heute nacht in
der Bibliothek gewesen war, sie fand oder nicht. Außerdem war ich mir nicht
sicher, ob Einzelheiten aus der Geschichte der Applebys in irgendeiner Weise
mit dem in Zusammenhang standen, was hier passiert war.
Als nächstes mußte ich mich
entscheiden, was ich mit meiner Waffe tun wollte. Am besten war es wohl, wenn
ich sie erst einmal in die tiefe Tasche des Bademantels steckte.
In der Küche war Evans beim
Kaffeemahlen. Er grinste mich fröhlich an und sagte: »Sie sind früh auf. Der
Kaffee ist in ein paar Minuten fertig.«
Ich setzte mich an den Tisch und raffte
den Bademantel so um mich, daß die Wölbung in der Tasche nicht zu sehr auffiel.
Ich fühlte mich beschwingt und etwas abgehoben, aber ich hatte keine Lust,
jetzt ins Bett zu gehen und den verlorenen Schlaf nachzuholen. Mein Kopf war
voll mit der Geschichte der Applebys und den Dingen, die ich heute vorhatte.
Um Evans etwas besser kennenzulernen,
sagte ich: »Sie werden froh sein, wenn Sie in einer richtigen Restaurantküche
arbeiten können.«
Er reagierte mit einem breiten Lächeln.
»Das können Sie mir glauben. Es wird die Küche meiner Träume. Neal hat mir
völlig freie Hand gelassen.«
Ich trank die Tasse Kaffee, die er vor
mich hinstellte. Während er den Schinken briet, erzählte er von seinen
Erfahrungen in Paris, wo er bei einem Küchenchef gearbeitet hatte, der ein
großer Perfektionist gewesen war. »Wenn man etwas falsch machte, hätte er einen
am liebsten vergiftet.« Seiner fröhlichen Erzählung und seiner ganzen
Erscheinung nach zu urteilen, war Evans ein glücklicher Mensch — selbstbewußt,
unkompliziert, voll Lebensfreude. Aber warum fühlte ich mich dann bei ihm so
unbehaglich?
Ich beobachtete Evans bei seinen
Frühstücksvorbereitungen und versuchte, ihn mir als Mörder vorzustellen. Als
den Mann, der den Geist gespielt und die makabre Puppe in den Baum gehängt
hatte. Ich wies den Gedanken als lächerlich von mir.
»Wer hat denn Ihre neue
Küchenausrüstung bestellt, Evans?« fragte ich, während er Butter und Marmelade
aus dem Kühlschrank nahm. »Sie haben die Sachen ausgewählt, aber wer hat den
Auftrag erteilt?«
»Angela.«
»Und wenn sie eintreffen, wer
kontrolliert die Rechnung?«
»Auch Angela. Natürlich sage ich ihr,
ob auch alles eingetroffen ist und ob ich Mängel festgestellt habe.«
»Und dann?«
Evans machte ein etwas erstauntes
Gesicht. »Wieso? Sie stellt einen Scheck aus und bezahlt damit.«
»Wer unterzeichnet den Scheck?«
»Neal und Angela. Neal kontrolliert die
Rechnungen, wenn wir anderen sie in Ordnung gefunden haben, und wenn alles
stimmt, unterschreibt er, und Angela schickt die Schecks ab.«
Es schienen die üblichen
Geschäftsmethoden zu sein, mit Gegenkontrolle und zwei Unterschriften.
Vielleicht, dachte ich, bin ich einfach von Natur aus mißtrauisch. Vielleicht
kenne ich die Leute nicht genug, um ihnen zu trauen und um die Dynamik der
Gruppe zu verstehen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, daß Neal betrogen wurde.
Ich stand auf und füllte meine Tasse
neu. »Schwierigkeiten mit dem Wachwerden?« fragte Evans.
»In gewisser Weise.«
»Das Problem habe ich nicht mehr — nicht
mit den kleinen Monstern dort unten.« Er deutete mit dem Schneeschläger, den er
in der Hand hielt, um damit in den aufgeschlagenen Eiern zu rühren, auf den
Küchenboden.
»Die Kinder stehen früh auf, nicht
wahr?«
»Ja. Sogar heute, wo sie nicht in die
Schule gehen.«
»Warum nicht?«
»Patsy muß mit Andrew zum Arzt und
dachte, es täte den Kindern gut, wenn sie mal eine Abwechslung hätten.«
»Sie mögen die Kinder, was?«
»Ja. Ich
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