Im Bann der Dämonin
sofort durch den Kopf. Trotzdem war es eine Verlockung. Welche Alternative habe ich? Hier herumhocken und warten, dass sie mich fertigmachen?
Sie stand auf und ging einen Schritt auf die Tür zu. Dann rannte sie los wie der Blitz. Sie rannte den langen, weißen Korridor entlang, die geschwungene Treppe hinunter, durch die leere Lobby und hinaus in die Hitze des Tages.
Barfuß sauste sie über den Rasen, ohne zu wissen, wohin. Alles war besser als diese kleine weiße Zelle. Ihre Lungen brannten, doch sie blieb nicht stehen.
Sie wandte sich nach links und rannte auf eine große Freifläche zu, die nach einem unerschlossenen Gebiet aussah. Sie musste hier weg! Zurück nach Venedig. Irgendwie würde siesich mit Satan auf einen Handel einigen können. Sie würde ihm seine Opfergabe bringen – vielleicht akzeptierte er ja auch ein anderes Opfer. Sie würde alles wieder richtigstellen.
Nichts konnte sie zurückhalten.
Am Ende des Grundstücks hielt ein Zaun sie auf. Er war knapp dreieinhalb Meter hoch und war mit schmiedeeisernen Spitzen versehen. Nicht leicht zu übersteigen, erst recht nicht in Lucianas erschöpftem Zustand.
Der Zaun endete bündig mit der Rasenfläche und gab ein kleines Stück Sandstrand frei. In Sichtweite vor ihr befand sich das Meer. Doch die Brandung war wild, und rechts und links vom Strand waren zerklüftete Felsen. Die einfachste Möglichkeit war es wohl, um den Zaun herumzugehen. Doch als sie ihn berührte, bekam sie einen heftigen Schlag – der Zaun stand unter Strom. Sie fiel auf die Knie und hielt sich den Kopf. Zwischen ihren Schläfen pulsierte ein grelles weißes Licht, dazu kamen grausame Schmerzen.
Ihr Schrei war zum Gotterbarmen. Trotzdem tauchte niemand auf, um ihr zu helfen.
Sie drehte sich zum Hauptgebäude um.
Dort standen die himmlischen Wesen, nebeneinander aufgereiht vor einem der großen Glasfenster im ersten Stock, und beobachteten sie.
Die Kompanie der Engel demonstrierte Überlegenheit.
„Was sollte das jetzt beweisen?“ Brandon stand zusammen mit den anderen Engeln am Fenster und beobachtete die sich vor Schmerz windende Luciana. Er wandte sich zur Tür, entschlossen, ihr zu helfen. „Das war unnötig grausam.“
Arielle legte ihm eine Hand auf den Arm, um ihn aufzuhalten. „Nicht nötig, dass du rausgehst. Ich habe schon meine Leute informiert. Sie werden sie zurück auf ihr Zimmer bringen.“
Schon sah man zwei Schutzengel, die zur Dämonin liefen. „Diese Aktion sollte beweisen, dass wir tatsächlich die Möglichkeithaben, Luciana hier festzuhalten – und wir konnten ihr dadurch auch klarmachen, dass jeder Fluchtversuch zwecklos ist.“
Brandon sah Michael herausfordernd an. „Ich kann nicht glauben, dass du das zulässt.“
„Ich stimme mit dir überein, Brandon. Ich fand es auch unnötig. Arielle, bitte sieh in Zukunft von derart unnützen Aktionen mit unserer Gefangenen ab! Deine Akte ist einwandfrei, und so soll es bleiben. Ich gehe davon aus, dass du deine Verantwortung in Bezug auf die Sicherheitsverwahrung unseres Gasts im besten Interesse aller gestalten wirst.“ Michael sah Arielle eindringlich an.
„Selbstverständlich.“
„Die Sitzung ist beendet“, verkündete Michael.
Leise murmelnd verließen die Engel den Tagungsraum.
„Warte bitte!“ Brandon wandte sich noch einmal an Michael. „Was ist mit mir? Welche Rolle spiele ich hier noch?“
„Das obliegt deiner eigenen Entscheidung. Die Chicagoer Einheit funktioniert derzeit ohne Probleme. Du kannst blei-ben oder gehen – ganz wie du möchtest.“
Dann verließ auch er den Raum.
Brandon starrte aus dem Fenster. Was sollte er tun?
Mitten in seine Gedanken hinein ertönte hinter ihm eine Stimme. „Ich muss mit Ihnen sprechen. Von Mann zu Mann.“
Es war Julian Ascher, der zu ihm sprach.
„Von Mann zu Mann, aha. Ich würde sagen, man hat Ihnen den Kopf in den Arsch gesteckt. Zumindest, wenn es um Luciana geht.“
„Damit mögen Sie recht haben. Deshalb hören Sie mir bitte zu.“
„Wieso sollte ich?“
„Wie Michael eben sagte: Wir arbeiten alle für ein Ziel – das Wohl der Menschheit.“
„Daran glaube ich bei Ihnen nicht eine Sekunde.“
„Gut, nennen Sie es Schuldgefühle“, seufzte Julian. „Es gibt Dinge, die ich mir früher nicht eingestehen konnte. Es gibt vieles, was Sie nicht wissen über Luciana. Vieles, das wichtig ist.“
„Ich höre.“
Julian hielt kurz die Hände an den Kopf, dann sah er Brandon an. „Es fällt mir nicht leicht, das zu
Weitere Kostenlose Bücher