Im Bann der Dämonin
sie, er würde jederzeit wieder aufstehen.
Es funktioniert also, dachte Luciana. Mein Gift wirkt.
Und dann explodierte einer der Öfen. Ob durch göttliches Eingreifen oder durch Zufall, war nicht klar. Jedenfalls schoss eine riesige, heiße Flamme aus dem Ofen hervor und zerstörte die Fenster und den Fußboden in Reichweite.
Die Hitzewand brach über sie alle gleichzeitig herein: Dämonin, Engel, Mensch. Luciana, Brandon, Jude.
Doch es war nicht das Feuer, das die Kontrolle über das Ge-bäude übernahm.
Jetzt begann der Boden unter ihnen zu beben, und Spalten taten sich auf, aus denen Wassermassen emporschossen. Das Wasser stieg schneller, als Luciana es je im hochwassergeplagten Venedig erlebt hatte. Es überschwemmte binnen kürzester Zeit den Fußboden der Fabrik und umschloss mit rasender Geschwindigkeit erst die Knöchel, dann die Schienbeine der schockierten Dämonen.
Jetzt kam die Horde in Bewegung. Sie rannten in alle Richtungen durch das mittlerweile knietiefe Wasser davon, schoben und drängten sich dem nächsten Ausgang entgegen. Brandon schnappte sich Luciana und zerrte sie, den bewusstlosen Jude noch immer über der Schulter, mit sich zur Hintertür. Er rannte die fondamenta hinunter, weg von der brennenden fornace , und war so schnell, dass sie fast zu fliegen glaubte.
Hinter ihnen überspülten die Wassermassen nun die Öfen und löschten mit lautem Zischen die Flammen. Druck baute sich auf. Und gab nach. Das Dach explodierte, und plötzlich war die Luft voll von Glassplittern. Die Wände des Gebäudeserbebten, und das Backsteingebilde fiel in sich zusammen wie ungebrannter Ton.
Erst in fünfzehn Metern Entfernung traute sich Luciana, sich umzudrehen.
Wie ein Aasgeier nach einem Gemetzel tauchte in diesem Moment die schwarze Beerdigungsgondel des Satans auf dem Kanal auf. Und glitt auf einem Fluss aus Feuer in die Glasbläserei hinein. Der Fährmann des Todes streckte seinen verwelkten Arm aus seinem schwarzen Mantel und steuerte das Boot mitten in das kochende Inferno hinein. Wenige Augenblicke später kam das Boot an ihnen vorbei, und Luciana sah den toten Erzdämon darin liegen. Der Fährmann nickte ihr kurz zu, dann stieß er sein Ruder ins Wasser, und die Gondel glitt davon.
Luciana wäre beinahe auf dem Anleger zusammengebrochen.
Sie hatte festen Boden unter den Füßen, obwohl es sich nicht im Geringsten so anfühlte.
Aber noch war nicht alles erledigt.
Brandon setzte den erbarmungswürdigen Menschen ab. Jude stolperte im Zickzack davon. Wo wollte er hin? Luciana musste ihn aufhalten. Rasch hob sie ein Stück Rohr auf, das auf der Erde lag, und rannte ihm hinterher. Jude fiel hin und sah sie mit schreckgeweiteten Augen an, als sie ihm mit dem Rohr die Kehle zudrückte.
„Lass ihn. Ich habe ihm vergeben.“ Brandon hielt ihren Arm fest.
„Wieso interessiert es dich dann, was mit ihm geschieht?“ Luciana hielt das Rohr so fest umklammert, dass ihre Hand zu schmerzen begann. Sie versuchte, es dem Menschen in den Hals zu rammen, um endlich der Ungerechtigkeit und dem Leid ein Ende zu setzen, das Brandon erlitten hatte. „Er hat dich ermordet. Kapierst du das nicht?“
„Er ist ein Mensch. Es ist meine Aufgabe, ihn zu beschützen.“ „Wieso verteidigst du ihn? Menschen sind widerwärtig. Nochvor zweihundert Jahren haben sich die Menschen auf den Straßen gegenseitig gefoltert. Öffentliche Hinrichtungen waren ein Spektakel, das ihnen zur Unterhaltung diente. Abgeschlagene Köpfe wurden vor Stadttoren aufgespießt, auf Brücken, auf Marktplätzen. Du glaubst doch nicht im Ernst daran, dass dieser Mensch auch nur eine Sekunde zögern würde, wenn er deinen Kopf als Trophäe mitnehmen könnte!“
„Auch du und ich waren mal Menschen.“
„Aber wir sind keine mehr“, sagte Luciana leise. „Dieser Mann verdient es nicht, zu leben.“
„Auf Erden gibt es keine Gerechtigkeit für das, was er getan hat. Wir sind nicht hier, um über ihn zu richten. Wir kennen die wahren Gründe für das, was auf der Erde geschieht, nicht. Jetzt komm mit mir! Komm mit! Lass ihn gehen und komm mit mir!“
Brandon streckte die Hand aus.
Das Rohr begann in ihrer Hand zu zittern, aber sie drückte es immer noch auf Judes Kehle.
„Lass ihn“, bat der Engel sie noch einmal. „Er ist es nicht wert. Nicht wenn er das Einzige ist, was zwischen dir und mir steht. Jetzt komm mit mir! Wir können endlich zusammen sein.“
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, während sie vor der völlig zerstörten
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