Im Bann der Dämonin
tot“, sagte er leise. „Sie starb an dem Tag, an dem ich geboren wurde.“
„Wie lange weißt du es schon? Dass sie … dass Carlotta …“
Er zuckte die Schultern. „Wie sollte ich nicht gewusst ha-ben, dass sie meine Mutter ist? Ich bin mir sicher, es hatte et-was mit Instinkt zu tun. Ich brauchte nie zu fragen, weil ich es schon wusste.“
Luciana suchte nach Worten, doch sie fand keine Möglichkeit, sich auszudrücken. „Deine Mutter hat dich sehr geliebt. Als sie noch lebte, war sie anders. Der Tod hat sie verändert. Wie er uns alle verändert.“
Massimo nickte, und sie erkannte an seinem Blick, dass er verstand.
„Ich weiß nicht, wo sie jetzt ist“, fuhr Luciana fort. „Es gibt Tausend Möglichkeiten und Tausend Orte, zu denen die Seelen gehen. Orte, die wir nicht kennen. Aber ich bin mir sicher, dass Carlotta dort, wo sie jetzt ist, endlich frei ist. Dass sie die Hölle und die Erde hinter sich gelassen hat.“
Massimo nickte mit gesenktem Kopf. „Und Sie? Was haben Sie im vergangenen Jahr gemacht?“
„Ich habe nach einer Möglichkeit gesucht, so zu leben, wie ich es möchte, und nicht, wie es Satan gefällt. Ich kann das nicht mehr, Massimo“, erzählte sie ihm. „Wie dem auch sei, man muss seine eigenen Entscheidungen treffen. Ich überlasse dir gern die Casa Rossetti zum Wiederaufbau, wenn du möchtest, die nötigen finanziellen Mittel inklusive. Unsere alten Feinde existieren leider immer noch, wie in all den Jahrhunderten zuvor. Sicher werden sie versuchen, dich aufzuhalten. Aber dubist ein Überlebenskünstler. Du hast die Kraft, das durchzustehen.“
„Und was werden Sie nun tun, baronessa? Wohin gehen Sie?“
Sie lächelte und schaute hinauf in den mondhellen Himmel. Sie würde weitersuchen.
Und in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass jedes Gebet, das sie jemals geflüstert oder auch nur gedacht hatte, dass jedes verzweifelte Flehen um Gnade, das sie in den Momenten schlimmster Hoffnungslosigkeit ausgestoßen hatte, dass all das Gute, was sie jemals gewollt hatte, auf bestmögliche Art beantwortet worden war.
Bis auf eine krasse Ausnahme.
Einer monumentalen, herzzerreißenden Ausnahme, nämlich dass sie ohne Brandon würde leben müssen.
Obwohl genau das das Beste für sie war.
Luciana verspürte ein seltsames Prickeln am Handgelenk. Sie untersuchte ihren Arm. Auf ihrer hellen Haut war eine Tätowierung zu sehen – eine Feder. Eine ordinäre Taubenfeder, wie die, die sie von ihrem Arbeitstisch gefegt hatte, als sie zum ersten Mal Brandons Anwesenheit in Venedig gespürt hatte.
Die Feder war oben grau und unten farblos.
Das Tattoo war in der Nacht vor einem Jahr aufgetaucht, als sie aus Venedig hatte fliehen müssen.
Sie berührte die Zeichnung und schloss die Augen. Sofort wurde sie wieder von diesem inneren Frieden erfüllt, den Brandons Nähe in ihr verursacht hatte, immer, wenn sie zusammen gewesen waren. Dieses Gefühl überkam sie jedes Mal, wenn sie an ihn dachte.
Er ist in der Nähe, dachte sie. Ich muss gehen, bevor er hier auftaucht.
Eines Tages würde sie alles wiedergutmachen.
Ich weiß, dass dieser Tag kommen wird. So sicher, wie ich weiß, dass jedes Wesen auf der Erde Frieden finden wird.
Rasch schritt sie durch die Straßen Venedigs davon, ohneeine bestimmte Richtung, ohne Ziel, bis das Prickeln verschwunden war. Sie lief so lange, bis sie am Ufer des Bacino di San Marco stand, wo Stein und Wasser zusammentrafen. Da stand sie und beobachtete aus der Ferne ein Flügelflattern. Ein Schwarm Vögel, der sich am Horizont in die Lüfte erhob.
Brandon konnte ihre Anwesenheit spüren, hier in dieser Stadt, die sie so liebte. Doch obwohl er in den Überresten der Casa Rossetti noch ihre Schwingungen wahrnahm, war sie nicht mehr da. Auch in der Glasgalerie war keine Spur von ihr, auch nicht in den verlassenen Zimmern des ehemaligen Bordells ein Stockwerk höher. Ihre Zweitwohnung am Lido lag ruhig und verlassen da. Er durchkämmte die verwinkelten Gässchen auf der Suche nach ihr, hoffte, irgendwo einen zufälligen Blick auf sie erhaschen zu können. Doch sie war nirgends zu finden.
Der letzte Ort, an dem er nachsah, war die Erlöserkirche.
Die gleichen Menschenmassen, dachte er, als er sich hineinschob. Die gleiche unerträgliche Hitze .
Doch auch hier war Luciana nicht.
Er war in der naiven Hoffnung hierhergekommen, sie in einer der Seitenkapellen vorzufinden, wo sie in Reue vor dem Altar kniete, bei dem Versuch, sich selbst ihre lange Liste von
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