Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition)
Avy.
»Das ist doch klar! Die Standuhr, äh, ich meine, der Vine, der uns belauscht hat, muss seine Informationen weitergegeben haben, bevor wir ihn enttarnt haben.«
»Aber wie?«, fragte Avy und sah von Dibs zu Loo. »Ihr habt doch gesagt, Dibs hätte in der Uhr geschlafen, wie kann der Vine dann dein Zimmer verlassen haben, Loo?«
»Wir hatten fürchterliche Angst«, piepste Dibs von unten, während seine platten Finger sich nervös miteinander verknoteten. »Wir haben unseren Schlafplatz verlassen und sind –«
»Er hat die Nacht in meiner Schlafschaukel verbracht!«, knurrte Loo.
»Ja, genau! Es ist die einzige Erklärung!«, rief Timothy aufgebracht, während seine Hände krampfhaft das Pergament umschlossen. »Der Vine muss sich davongeschlichen haben, als Dibs zu Loo geflüchtet ist, und dann hat er alles, was wir gestern Abend besprochen haben, weitergegeben!«
Timothy sah seine Freunde mit weit geöffneten Augen an. Als keiner von ihnen etwas sagte, fügte er ungeduldig hinzu: »Die Homorden müssen so durch uns erfahren haben, das hier Hartlefs Erinnerungen zu finden sind. Und dann ist der Vine unbemerkt in Loos Zimmer zurückpermatiert, bis wir ihm am nächsten Morgen auf die Schliche gekommen sind.«
»Ich nehme an, die Originalausgabe von Drusa, die der Rabe mir aus den Händen gerissen hat, hatten sie bereits«, fügte Loo hinzu.
»Und nachdem Hartlefs Erinnerungen, auf deren Spur wir sie gebracht haben, ihnen verraten hat, dass Drusa Aufschluss darüber gibt, wo sich die Drudel befindet«, stieß Avy kurzatmig hervor, »müssen sie die Drudel gefunden haben, während wir hier noch im Dunkel tappten.«
»Dann werden sie den Bann spätestes bei ihrer Versammlung lösen und ungehindert in die menschliche Welt einfallen!«, sagte Timothy bestürzt.
»Nein! Ich kann nicht glauben, dass sie die Drudel gefunden haben. Es heißt in der Prophezeiung, ein Mensch werde den Weg zu ihr weisen und –« Avy unterbrach sich und ihre hellblaue Haut wurde plötzlich noch blasser. »Sie ist eingetreten, Timothy. Genau das ist passiert! Du hast den Weg zu der Drudel gewiesen. Ihnen!«
»Wir können aber nicht sicher sein, dass sie die Drudel haben, oder? Ich meine, das kann's doch nicht gewesen sein!«, rief Loo.
»Es gibt nur einen Weg, wirklich sicherzugehen«, sagte Timothy.
Im trüben Schein der Fulgerflechte sah er, wie Avys Haut jäh aufleuchtete. »Nein, Timothy!«, keuchte sie. »Du willst doch nicht ernsthaft in die Grotte des Grauens? Du hast ja keine Ahnung, was dich da erwartet!«
»Was erwartet uns denn?«
»Keine Ahnung!«, rief Avy heftig und stapfte wütend auf. »Die Grotte ist böse, schrecklich, furchterregend und vor allen Dingen gefährlich! Da leben Nymphen und Nilser, der Mummatsch, einen Tarp hast du ja schon kennengelernt und – ach ja, ich vergaß, sämtliche Homorden werden anwesend sein. Da ist der Oimach noch das geringste Problem, schätze ich. Das ist doch Wahnsinn, Timothy!«
Stille trat ein. Timothy sah sie nur ruhig an. Er war entschlossen, in die Grotte zu gehen, und auch Avy wirkte, als wären ihr die Argumente ausgegangen.
»Loo, sag doch auch mal was!«, wandte sie sich verzweifelt an den kleinen Color, der nervös mit dem Glöckchen seiner Zipfelmütze spielte.
»Ich kann nicht glauben, dass Daa etwas damit zu tun hat.« Eine steile Falte durchzog seine Stirn. »Mein eigener Vater soll ein Homorde sein? Bevor ich das nicht mit eigenen Augen gesehen habe, werde ich es nicht glauben. Ich komme mit!«
Timothy nickte zufrieden. »Was ist mit dir, Dibs?«
»Wir würden immer mitkommen … aber ein Glunz in der Grotte … das würde sofort auffallen«, murmelte Dibs betrübt.
»Okay, Avy, bist du dabei?«
»Bei Paxus! Ich muss verrückter sein als die schwerhörige Fee, aber ja. Ich bin dabei.«
»Hervorragend!«, rief Timothy, der erleichtert war, auch Avy an seiner Seite zu haben. »Also, wann ist der …«, Timothy warf einen schnellen Blick auf das Pergament, »Dritte diesen Mondes?«
»Heute«, stöhnte Avy. »Und bis zum Abendglühen dürfte es nicht mehr lange dauern.«
· ~ ·
Timothy stieg der beißende Gestank der Grotte sofort in die Nase, als er auf die verkommene Via Vetus trat. Doch der sonst so trostlose Anblick von verrotteten Behausungen und wurzelüberwucherten Trümmern wurde von einem unheimlichen Bild überschattet, das die Via Vetus noch geisterhafter erscheinen ließ, als sie ohnehin schon war: Hunderte Lemuren unterschiedlichster
Weitere Kostenlose Bücher