Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition)
überwuchert werden würde wie alles andere.
Zur Sicherheit drückten sich die Freunde an der gegenüberliegenden Wand entlang, den Blick wachsam auf die Hausruinen gerichtet. Als sie wenige Schritte später um eine Kurve bogen, sah Timothy, dass auch die übrigen Häuser einen denkbar schlechten Eindruck machten. Sie konnten selbst zu ihren besten Zeiten nicht mehr als ein Notbehelf gewesen sein. Timothy sah an den einstöckigen Fronten hoch, die – aus Wellblech, Holzdielen, Wurzeln und allerlei verrostetem Schrott zusammengeflickt – unter der niedrigen Decke klemmten. Fenster hingen aus ihren Angeln, Ziegel waren heruntergestürzt – alles wirkte so, als wäre es vor langer Zeit fluchtartig verlassen worden.
Und über allem lag ein modrig feuchter Gestank, der fast nicht zu ertragen war – eine Mischung aus verfaulten Eiern und verwesender Ratte. Timothy verzog angewidert das Gesicht.
»Das ist der Schwefel aus der Grotte. Ich sag ja, wir sind ziemlich dicht dran«, raunte Loo ihm zu.
»Ja, das sagtest du«, entgegnete Timothy beklommen.
»Es ist nicht mehr weit. Wir haben's gleich geschafft!« Loo deutete auf das Ende des Tunnels. »Da vorn geht es schon zur Sesselstation und dann auf direktem Weg zur Plaza.«
Es geschah ganz beiläufig, und Timothy hätte es gar nicht weiter beachtet, wenn es für diese Gegend nicht so unwirklich gewesen wäre. Plötzlich bewegte sich eine Gestalt hinter der zerschlissenen Gardine eines fast verfallenen Hauses. Sie war nur schemenhaft zu erkennen, groß und dunkel gekleidet.
»Hier wohnt ja doch noch jemand«, stellte Timothy fest.
Erstaunt folgte Loo seinem Blick. Beide starrten einen Moment die zerbrochene Scheibe über ihren Köpfen an. Die verrottete Gardine flatterte kaum merklich, als hätte ein Luftzug sie angehoben.
Loo machte eine wegwerfende Handbewegung. »Hier ist keiner mehr. Glaub es mir, wenn einer hier freiwillig hingeht, dann nur, um den verrückten Apotheker zu besuchen. Niemand würde eines dieser Häuser betreten. Außer den Tarpen vielleicht, aber die passen nicht durch die Türen.«
»Ich dachte, ich hätte etwas … Ist auch nicht wichtig. Was sind Tarpe?«
»Hohlköpfige Riesendämonen. Leben irre lang und sind ziemlich bösartig. Du verpasst nichts, wenn du sie niemals zu Gesicht bekommst. Komm weiter!«
Timothy stapfte tapfer hinter Loo her. Die Via Vetus verdunkelte sich, je näher sie dem Tunnelende kamen, und die Decke schien noch niedriger zu werden, als sie ohnehin war. Unwillkürlich zogen die Freude ihre Köpfe ein. Zu guter Letzt konnte Timothy nicht weiter als zwei Schritte blicken. Er hörte Loos Glöckchen an der Zipfelmütze bimmeln, sah ihn aber nicht mehr.
»Loo, warte mal! Ich seh kaum noch was!« Hilfesuchend tastete er nach Halt. »Was ist da? Sind das –« Timothy griff ins Leere, stolperte einige ausgetretenen Stufen hinunter und kam taumelnd zum Stehen. »Stufen! Hättest du mich nicht warnen können?«
»Hoppla! Du kannst deine erste Fahrt in der Blitzröhre wohl gar nicht abwarten«, scherzte Loo, doch als Timothy ihn mit zusammengekniffenen Augen anblitzte, fügte er weniger vorlaut hinzu: »Ich vergesse immer, wie schlecht ihr Menschen sehen könnt.«
Timothy hörte das reißende Geräusch eines Streichholzes. Und tatsächlich, im nächsten Moment flammte eine Fackel auf, die in einer rostigen Wandhalterung steckte.
»Ist es jetzt hell genug?«
»Danke. Viel besser.« Timothy, der seinem Freund ohnehin nicht lange böse sein konnte, sah sich um. Sie fanden sich in einer Höhle wieder, in der nichts stand außer einem altersschwachen Stuhl und einem abgenutzten Sessel, der dem Color fast bis zum Kinn reichte. Er war mit dem geschmacklosesten Blümchenmuster bespannt, das Timothy je gesehen hatte.
»Hilf mir mal mit dem Ding!«
»Klar, aber willst du den wirklich mitnehmen?«, fragte Timothy und sprang schnell hinzu. Zusammen gelang es ihnen, das hässliche Ungetüm nach vorne zu hieven. »Was willst du damit?«
»Stell ihn hierhin und warte ab.« Loo griente, kniete sich auf den Lehmboden und machte sich an dem Sessel zu schaffen.
Timothy sah näher hin und erkannte erst im Schein der Fackel, dass Loo an einem eigenartigen Metallteil herumschraubte.
»Geschafft!«, rief sein Freund nach Kurzem und stemmte den Sessel auf eine Schiene, die schnurgerade von ihnen fort ins Dunkle führte. »Der Aufsatz macht immer mal wieder Probleme. Sie haben vor ein paar Jahren das System geändert, und jetzt passt er
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