Im Bann der Drudel (Auf der Suche nach dem magischen Buch) (German Edition)
der Stelle einschlafen können.
Loos Mutter betrachtete ihn mitfühlend. »Du gütiger Dan – mein armer Junge, du bist ja vollkommen übermüdet. Da reden und reden wir die ganze Zeit und du kannst kaum noch die Augen offen halten. Ich werde dir sofort einen Ingwerwurzeltee mit einem Schuss Wermut aufbrühen, das wird dich gut träumen lassen. – Kinder, zeigt unserem Gast doch seine Schaukel, ja?«
»Komm mit!«, rief Lilli. »Du schläfst bei meinem Bruder. Ich zeig dir sein Zimmer.«
»Genau, mein Zimmer«, wiederholte Loo und kletterte durch ein kreisrundes Loch neben dem bollernden Ofen. Timothy folgte den beiden widerspruchslos und stieg die Treppe hinauf. Das heißt, zunächst gingen sie sechs Stufen nach unten rechts, dann zwölf nach oben links. Doch Timothy war zu müde, um sich weiter zu wundern.
Loos Zimmer befand sich unter der Dachschräge und hatte ein kleines Türmchen, das einen großzügigen Blick auf die Via Aurea bot. Vielerlei Bücher lagen zerstreut auf dem Boden und stapelten sich in den Ecken, zumeist mit Titeln wie Heil- und Zauberpflanzen , Hexenkräuter oder Wurzel-Wissen . In der Mitte von Loos Zimmers war ein Fenster in den Boden eingelassen, das die Sicht in das darunter liegende Wohnzimmer freigab. Daneben stand eine Art Hängematte, die eigenständig sanft hin und her pendelte.
Loo deutete auf sie. »Du schläfst in der Gästeschaukel. War ganz schön schwer das Biest, aber ich hab sie irgendwie hier hoch gekriegt.«
»Danke«, murmelte Timothy, wartete, bis sein Freund sich umgezogen und seine Schlafmütze aufgesetzt hatte, dann kuschelte er sich samt Perlengewand tief in die flauschige Decke. Kurz bevor ihm die Augen zufielen, besann sich Timothy, dass Loo ihm immer noch nichts über Godos grausamen Tod erzählt hatte.
»Loo?«
»Hm…«
»Erklärst du mir jetzt, was mit Godo passiert ist?«
»Wir nennen es kristallisieren«, murmelte sein Freund schläfrig. »Wir wissen nicht, woher es kommt. Eine Seuche vielleicht oder Hexenwerk, oder die Erfüllung einer Prophezeiung …«
»Ah…«
Einen Moment war es ruhig, dann fing Loo selig an zu säuseln.
»Loo?«
»Hm…«
»Wie schlimm ist es?«
»Ziemlich schlimm. Es erwischt immer mehr.«
Timothy konnte einen Schauer nicht unterdrücken. Beklommen ließ er die schrecklichen Ereignisse vor seinem geistigen Auge Revue passieren, bis ihm mit einem Mal wieder etwas einfiel. »Ich dachte … also, als das Eis kam, dachte ich, ich hätte einen Schatten gesehen«, flüsterte er.
»Einen Schatten? Von was?«
»Keine Ahnung, einfach einen Schatten. Erst dachte ich, du wärst gekommen, aber da war keiner außer Godo und mir.«
»Hm…«, murmelte Loo. »Lass uns morgen darüber reden, ja? Coloren sind nämlich ungenießbar, wenn sie zu wenig geschlafen haben.«
»Wie du meinst.«
Timothy ließ sich sanft hin und her schaukeln, bis ihn die Müdigkeit übermannte. Trotz der Erlebnisse schlief er so tief und ruhig ein wie noch nie in seinem Leben zuvor.
Kapitel IV
Das Decertum
Am nächsten Morgen mussten sie früh aufstehen, aber Timothy hatte wunderbar geschlafen und fühlte sich großartig. Nur sein Mund klebte zäh von all dem Zuckerzeug, dass er am Vorabend verdrückt hatte.
Zu dieser frühen Stunde lag die Via Aurea noch still und wegen der fast erloschenen Laternen recht dämmrig vor ihnen. Timothy stand mit Lilli vor der Haustür und streichelte das dicke Eichhörnchen, während Loos Mutter Lavina ihren Sohn mit guten Ratschlägen überschüttete. Sie schienen ebenso aufgeregt zu sein wie er.
»Du wirst noch ein richtig wichtiger Lemur«, meinte sie gerade und strich Loo die Zipfelmütze glatt. Heute trug er eine hellgrüne. »Schon das zweite Mal in einem Mond, dass du dem Ältestenrat gegenübertrittst«, sagte sie mit stolz geschwellter Brust. Zu Timothy gewandt meinte sie kopfschüttelnd: »Es ist schade, dass du nicht als Color durchgehst, aber diese wundersamen, grauen Augen wären wohl zu exotisch. Bist du eigentlich groß? Für einen Menschen, meine ich?«
»Ich wachse noch«, meinte Timothy verlegen. »Aber ich schätze, zu groß für einen Coloren.«
»Na ja, sei's drum«, sagte Lavina schulterzuckend. »Die hohen Herren werden wohl wissen, was sie tun. Seht zu, dass ihr los kommt, ihr beiden.«
»Und erzählt mir genau, wie es war«, verlangte Lilli, nahm Timothy Skibbo aus der Hand und zog mit der anderen ein gefaltetes Stück Pergament aus ihren kornblumenblauen Shorts. »Gib das dem Rat, ja?«,
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