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Im Bann der Engel

Im Bann der Engel

Titel: Im Bann der Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Gref
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Ihr Blick wanderte zum Kirchturm, der sich furchteinflößend über den Dächern der Stadt erhob. Handwerker klammerten sich an das steile Dach und montierten eine neue Uhr. Hatte man vorher Mühe gehabt, das Ziffernblatt zu erkennen, war dieses für ihren Geschmack zu groß. Die Zeiger bestanden aus schwarzem Metall, mit verschnörkelten Verzierungen. Das Ziffernblatt wirkte plastisch, als bestünde es aus organischer Materie. Elena schauderte. Um an die Produktivität aller Bewohner Cravesburys zu appellieren, besaß die Uhr sogar einen Zeiger für die Sekunden. Elena seufzte. Es war ein fortschreitender Prozess, dass die Zeit in immer kleinere Häppchen unterteilt wurde. Die Arbeitskraft wurde schon lange nicht mehr danach bemessen, wie gut ein Werkstück oder eine Aufgabe gelang, sondern, wie schnell man bei der Verrichtung seiner Arbeit war. Auch in der Fabrik war es nicht anders. Der Boss verlangte ein Wunder. Sie fragte sich, wie sie binnen kürzester Zeit perfekte Engel erschaffen sollte, wenn sie deren geistige Verfassung nicht zu ergründen vermochte. Plötzlich ertönte ein schauriges Pfeifen, ähnlich dem eines Nebelhorns, wenn es seine Warnung ausstieß. Die Gesichter der Menschen auf der Straße hoben sich dem Ton entgegen. Alle Zeiger der Uhr standen auf der Zwölf.
    »Was ist das nun schon wieder?«, ereiferte sich eine Frau. »Was ist aus unserer guten alten Glocke geworden? Dieser Heulton ist ja nicht auszuhalten.«
    »Gewöhnen Sie sich dran, meine Beste«, warf ein älterer Mann mit einem Stock ein. »Haben Sie’s nicht in der Zeitung gelesen? Das sind von jetzt an Cravesburys Glocken.«
    Die Frau winkte mürrisch ab und zog ihres Weges. Auch Elena ging weiter. Dabei hielt sie die Augen nach ihren Verfolgern offen und schlug den Weg zur Fabrik ein.
    Ein Mensch versah nun Jacks Aufgabe, die Lohnkarten zu stanzen. Er tat sich schwer, suchte geraume Weile nach Elenas Fach. Schließlich deutete sie darauf und wartete kaum das dankbare Nicken des neuen Rezeptionisten ab.
    Im Fahrstuhl drang ihr der Geruch von Blut und Schweiß in die Nase. Einbildung, dachte sie und hielt sich die Nase zu. Noch vor ihrem Büro wurde sie von Albert abgefangen.
    »Wie geht es Ihnen?«, wollte er wissen.
    »Blendend«, gab sie zurück und wollte weiter. Albert hielt sie an den Schultern zurück.
    »Wo wollen Sie hin?«
    »Auf eine sonnige Insel mit viel Meer drum herum. Was denken Sie denn!«
    »Ich bringe Sie in Ihr neues Büro und dann unterhalten wir uns.« Es klang nicht so, als würde Albert einen Widerspruch dulden.
    Elena konnte sich ein verdutztes Geräusch nicht verkneifen. Während ihrer kurzen Abwesenheit hatte man eines der Labors umgestaltet. Einen Teil davon nahm ihr neuer Schreibtisch ein, der aufgeräumt auf sie wartete. Der andere Teil war als Labor verblieben. Ein Tisch aus Metall sowie eine große Arbeitsplatte mit allerlei Gerätschaften boten ihr genügend Raum für Forschung. Unterteilt waren die beiden Sektionen durch eine Trennwand mit offenem Durchgang.
    »Ihr neues Reich«, sagte Albert und machte eine Geste, die den gesamten Raum umschloss. »Sollte es Ihnen an etwas fehlen, geben Sie mir bitte Bescheid.« Er schloss die Tür, griff nach einem Stuhl und setzte sich an Elenas Schreibtisch. »Bitte«, sagte er und deutete auf den anderen Stuhl. Elena setzte sich ihm gegenüber, so dass sich die Tischplatte zwischen ihnen befand.
    »Ich möchte Ihnen erklären, warum Marcellus den abtrünnigen Wesley vor Ihren Augen hingerichtet hat.«
    »Da bin ich aber gespannt«, gab Elena eisig zurück.
    »Selbstverständlich einerseits, um zu demonstrieren, dass unsere Aufgabe unter allen Umständen geheim bleiben muss. Andererseits kann Madame Hazard keine Schwächlinge in ihrer Gruppe gebrauchen. Verstehen Sie? Sie müssen lernen, solche Momente zu verkraften. Was denken Sie, werden die neuen Engel mit Eindringlingen machen? Vergessen Sie nicht, dass Ihnen die vermeintliche Grausamkeit von Marcellus das Leben gerettet hat. Der Mann mit dem Messer hätte Sie gewiss nicht verschont. Für diese Fanatiker sind wir die Ausgeburt der Hölle, Dämonen, die unter allen Umständen vernichtet werden müssen.«
    »Vielleicht würde ein offenes Gespräch mit dem Pfarrer helfen, die Wogen zu glätten?«
    »Das hat Madame Hazard bereits versucht. Es war auf dem letzten Wohltätigkeitsball, als besagter Reverend ihr vor den Augen aller Gäste ein Glas Punsch ins Gesicht schüttete und schrie, sie solle mitsamt ihrer

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