Im Bann Der Herzen
einer Minute und wasche dir den Rücken.«
»Das halte ich für keine gute Idee.« Chastity ging zur Tür. »Auf diese Weise kämen wir nie hinunter, und auf mich warten Gäste.«
»Na ja ...« Douglas stieß einen dramatischen Seufzer aus. »Dann muss ich mich eben zurückhalten.«
»Zügeln«, sagte Chastity. »So nennt man das.«
»Zügeln und mich in Keuschheit üben«, sagte er mit einem Blick über die Schulter, eine Hand voll maisgelber Seide ans Licht haltend.
Sie lachte und ließ ihn allein, ehe sie der Versuchung erliegen konnte.
Sie beeilte sich im Bad, und als sie in ihr Zimmer zurückkam und es leer vorfand, empfand sie einen Anflug von Enttäuschung. Das maisfarbige Seidenkleid lag auf dem Bett, das Tuch war kunstvoll darüber drapiert, darauf lagen die Bernsteinperlen. Eine perfekte Kombination, wie sie zugeben musste. Dr. Farrell hatte tatsächlich ein Auge für diese Dinge.
Als sie schließlich angekleidet war, eilte sie hinunter. Die Kirchgänger waren bereits unterwegs, und der Frühstückstisch war abgeräumt, so dass sie gleich weiter in die Küche ging, wo Mrs. Hudson das Regiment über blubbernde Suppen und Soßen, Bratgänse und dampfenden Weihnachtspudding führte.
»Frohe Weihnachten, Mrs. Hudson. Kann ich etwas tun?«, fragte Chastity, als sie sich eine Scheibe Brot abschnitt und aus der Speisekammer Butter und Marmelade holte.
»Nein, nein, nichts, Miss Chas«, wehrte die Haushälterin freundlich ab. »Alles läuft bestens. Um ein Uhr steht der Lunch auf dem Tisch.«
»Wunderbar, Jenkins habe ich heute noch gar nicht gesehen.« Chastity bestrich das Brot dick mit Butter und Marmelade. »Ich wollte wissen, wann morgen die Bescherung für das Personal sein soll.«
»Er ist mit dem Silber in der Pantry«, sagte Mrs. Hudson, die Hände tief in einer Schüssel mit Salbei-Zwiebel-Füllung.
Chastity nickte, den Mund voller Marmeladebrot, und ging in die Butler-Pantry, wo Jenkins mit Filzschürze dasaß und das Silberbesteck polierte. »Sollte das nicht jemand anderer machen, Jenkins?«, fragte Chastity.
»Keinesfalls, Miss Chas. Das Silber gehört zu meinen Obliegenheiten«, erwiderte Jenkins entsetzt. »Ich würde es niemandem anvertrauen.«
Chastity lächelte und machte keine weiteren Einwände. Sie stellte ihre Frage, bekam die Antwort und ging wieder in den Haupttrakt des Hauses. Auf der Suche nach den anderen durchschritt sie die verschiedenen Gesellschaftsräume, in denen gespannte Vorfreude zu herrschen schien, so als hielten die Wände den Atem an und warteten, dass etwas begänne. Die Kerzen auf dem Baum brannten, Feuer prasselte im großen Kamin in der Halle sowie im Salon und in der Bibliothek. Kein Mensch war zu sehen. Sie wusste, dass Prudence und ihre Familie zur Kirche gegangen waren und die Tanten sie allem Anschein nach begleitet hatten, doch war nirgends eine Spur von ihrem Vater, von Max, Constance oder den della Lucas zu entdecken. Am auffallendsten aber erschien es ihr, dass Douglas Farrell durch Abwesenheit glänzte.
»Es fängt zu schneien an, Miss Chas«, sagte Madge, die mit einem Kohleneimer aus dem Küchenbereich auftauchte. »Weiße Weihnachten ... wie es sich gehört.«
Chastity lief zur Haustür und öffnete. Ein Schwall kalter Luft drang herein. Sie schloss die Tür hinter sich und blieb auf der obersten Stufe stehen, die Arme fest vor der Brust verschränkt. So blickte sie zum bleiernen Himmel auf, aus dem lautlos dicke weiße Flocken herunterschwebten. Kein Vogel war zu hören, kein Laut von irgendwoher, während der Boden allmählich unter einem jungfräulich weißen Belag verschwand.
Dann hörte sie Stimmen, den tiefen Bariton ihres Vaters, die höhere, angenehme Stimme der Contessa, in die sich Lauras dünnes Trillern mischte. Die Gruppe, die nun um die Hausecke bog, beeilte sich im Schnee, gefolgt von Douglas mit einigen Schritten Abstand. Er sieht ein wenig verstimmt aus, dachte Chastity, bis er den Kopf hob und sie dastehen sah.
Er ging schneller und überholte die anderen, als er zur Tür lief. »Meine Liebe, Sie werden sich den Tod holen«, sagte er besorgt. »Sie haben ja nicht einmal einen Mantel an. Gehen Sie hinein.« Er nahm ihren Ellbogen und schob sie zurück in die Wärme der Halle.
»Ich habe meinen Schal«, sagte sie und befingerte das feine Material. »Er ist so groß, dass er als Umschlagtuch dienen kann.«
»Für draußen war er nicht gedacht«, schalt er und lächelte dann. »Aber er passt dir einmalig.«
»Ja«, sagte
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