Im Bann Der Herzen
abgeschreckt hatte, indem sie seine Vorurteile bestätigte, war es eine große Enttäuschung.
»Ach, Sie müssen >Ein bescheidener Vorschlag< gelesen haben«, sagte Chastity rasch und in der Hoffnung, er würde Lauras Meinung keine Bedeutung beimessen. »Wie heißt es da?« Sie runzelte die Stirn. »Etwas von einem gut genährten Kind, das ein köstliches und gesundes Nahrungsmittel ist.« Sie wandte sich an ihre Schwestern und schnalzte mit den Fingern. »Helft mir weiter.«
»Ein bescheidener Vorschlag, der verhindern soll, dass die Kinder Irlands ihren Eltern oder ihrem Land zur Last fallen«, half Constance ihr aus. »Es gehörte zu Mutters Lieblingsessays von Swift.«
»Ich kenne ihn«, sagte Laura, mit einem leichten Schniefen der langen Nase.
»Gedünstet, gebraten, gebacken oder gekocht«, sagte Prudence. »Ich glaube, so heißt es.«
»Etwas darüber, dass Frikassee oder Ragout ebenso wohlschmeckend sind«, sagte Chastity. Die drei lachten über die Verballhornung, waren aber die Einzigen, die Jonathan Swift amüsant zu finden schienen. »Es ist Teezeit«, verkündete Chastity in die plötzlich eingetretene Stille hinein. Sie legte das Buch beiseite. »Gehen wir in den Speisewagen. Ich bin hungrig.« Sie sprang auf und schüttelte den weiten Rock ihres lavendelblauen Kleides aus.
»Ich trinke keinen Tee, meine Liebe«, erklärte die Contessa.
»Nein. Der englische Nachmittagstee ist eine gar zu seltsame Sitte«, verkündete Laura. »Zu einer so unzivilisierten Zeit zu essen, meinen Sie nicht auch, Dottore ... Douglas?« Sie lächelte.
Douglas hatte im Moment genug von der Konversation mit Laura. Die Luft im Abteil wurde allmählich erstickend. »Im Gegenteil«, protestierte er. »Beim Tee halte ich mich mit Essen und Trinken nicht zurück. Darf ich mich den Damen anschließen?«
»Ja, bitte, tun Sie das«, sagte Constance. Sie und Prudence waren mit Chastity aufgestanden. »Wir müssen Sie aber darauf aufmerksam machen, dass Chastity alle Kuchen vertilgt, wenn Sie ihr nur eine halbe Chance lassen.«
»Das ist pure Verleumdung«, klagte Chastity und zog die Schiebetür zurück, die sich auf den Korridor öffnete. »Hören Sie nicht auf sie, Douglas.«
»Ich will es versuchen.« Er folgte ihr hinaus. Der Zug fuhr um eine Kurve, und der Waggon schwankte heftig. Chastity fasste nach der Wand, als sie fast den Halt verlor, doch war es unnötig. Douglas hatte die Bewegung vorausgeahnt und den Arm um sie gelegt, ehe der Zug um die Biegung fuhr. Er hielt sie an sich gedrückt, bis die Strecke wieder geradeaus verlief, und sie konnte die Kraft des Armes spüren, der ihr Gewicht wie eine Eisenstange hielt und sie an seine breite Brust drückte. Ein kleiner Pfeil reinen und unverkennbar physischen Verlangens durchzuckte ihre unteren Regionen.
Sie stieß sich, die Hände auf seiner Brust, von ihm ab. »Danke«, sagte sie hastig und trat zurück. »Wie galant.«
»Nicht galant genug, um alle drei zu umfangen, fürchte ich«, sagte er. »Lassen Sie mich vorgehen, damit ich die Tür für Sie öffnen kann.« Er ging ihnen voraus den Korridor entlang und öffnete die Tür zwischen ihrem Waggon und dem Speisewagen. Sie schritten im Gänsemarsch hindurch und wurden von einem befrackten Kellner zu ihrem Tisch geleitet.
Douglas nahm den Platz neben der am Fenster sitzenden Chastity ein und überließ es den anderen, sich ihnen gegenüber nebeneinander zu setzen. Die Sitze waren eng, und Chastitys Rock streifte sein Bein. Sie waren einander so nahe, dass er den leichten Duft ihres Haares und den blumigen Parfümduft ihrer Haut roch. Seine Reaktion in dem Moment, als er sie im Korridor festgehalten hatte, schockierte und erstaunte ihn. Er verspürte den fast übermächtigen Drang, ihren zierlichen, so wohl gerundeten Körper erneut an sich zu pressen, den Druck ihrer Brüste zu spüren, die sich so zauberhaft gegen das Oberteil ihres Kleides wölbten, die deutliche Verengung ihrer Taille zwischen den Händen ... Ihre Nähe wirkte auf seine Sinne wie eine üppige sonnenreife Frucht, greifbare Wärme und berauschendes Parfüm.
Als der Kellner ihre Bestellung aufnahm, war es eine willkommene Ablenkung von einer sinnlichen Träumerei, die allmählich peinliche Nebenwirkungen zeitigte. Constance goss Tee für sie alle ein, und der Kellner stellte einen Toastständer und eine Platte mit Gurkensandwiches auf den Tisch.
Douglas nahm ein Stück heißen gebutterten Toast und bestrich ihn reichlich mit Gentlemen's Relish.
Weitere Kostenlose Bücher