Im Bann der Leidenschaft
zweifelte Alex. Durfte er sein Gewissen beruhigen und sich rühmen, er hätte sie subtiler ins Reich der Liebe eingeführt, als es dem alten Lüstling jemals gelungen wäre? Ja, ganz sicher. Allerdings mußte er sich eingestehen, daß er in dieser Nacht nur flüchtig an Zenas Gefühle und vor allem an sein eigenes Vergnügen gedacht hatte.
Für ihn war die Eroberung einer Frau, mochte sie unschuldig sein oder nicht, einfach nur ein körperliches Bedürfnis, das gestillt werden mußte wie Hunger oder Durst. Je nach Lust und Laune ließ er seinen Blick schweifen, und wenn ihm eine Frau gefiel, stieß er niemals auf nennenswerten Widerstand.
»Weine nicht, meine Süße«, bat er und wischte eine Träne von Zenas Wange. »Schlaf jetzt.« Zärtlich zog er sie an sich. »Mach dir keine Sorgen. Du hast keinen Grund, dich zu schämen. Morgen wirst du dich viel besser fühlen.«
Nur zu gern ließ sie sich von seiner sanften Stimme einlullen. In den letzten drei Jahren war sie kein einziges Mal getröstet worden. Ganz allein hatte sie für den kleinen Bruder gesorgt, die Verzweiflung ihres Vaters zu lindern gesucht und die Feindschaft ihrer Tante ertragen. Morgen werde ich mich mit meinen Problemen befassen, beschloß sie. Wenigstens bin ich dem General entronnen … Bald schlief sie in den Armen des Prinzen ein.
Alex glaubte, nur ein paar Minuten wären verstrichen – aber er wurde erst nach mehreren Stunden von einem lauten Klopfen geweckt. »Ja, was gibt’s?« fragte er gähnend, immer noch leicht benebelt vom Punsch, dem er so unmäßig zugesprochen hatte.
»Exzellenz, das Kind ist krank!« rief eine angstvolle Frauenstimme hinter der geschlossenen Tür.
»Einen Augenblick, wir kommen gleich!« antwortete Alex. Jetzt war er hellwach. »Ma petite ?« flüsterte er und rüttelte sanft an Zenas Schulter.
Widerstrebend öffnete sie die Augen. Immer noch im Halbschlaf, schlang sie die Arme um seinen Hals und suchte die beglückende Nähe seines warmen Körpers.
Für ein Mädchen, das vor dieser Nacht unberührt gewesen war, besitzt sie höchst erfreuliche Instinkte, dachte er. »Tut mir leid, meine Süße, dein Bruder ist krank.«
Sofort ließ sie ihn los und richtete sich erschrocken auf.
»Einen Augenblick, ich bringe dir einen Morgenmantel, meine Liebe.« Er stand auf, öffnete den eingebauten Schrank neben dem Bett und wühlte in mehreren Kleidungsstücken. Schließlich zog er einen Schlafrock aus tiefroter Seide hervor. »Hier – die Farbe ist zwar ein bißchen zu grell, aber die anderen Morgenmäntel gehören alle mir und würden dir nicht passen.« Er legte die rüschenbesetzte, bebänderte Seidenrobe um ihre Schultern. Dann schlüpfte er hastig in seinen eigenen Schlafrock. Während sie aus dem Bett stieg, den Gürtel verknotete und mit allen Fingern durch ihre wirren Locken strich, öffnete er die Tür. »Hoffentlich ist es nichts Ernstes«, meinte er.
Sie eilten durch den schmalen Gang und betraten das zweite Abteil an der linken Seite.
Keuchend saß der kleine Bobby auf Marianas Schoß.
»O Gott, er bekommt keine Luft!« stieß Alex bestürzt hervor. »Wir lassen den Zug sofort anhalten und rufen einen Arzt.«
Ehe er davoneilen und die nötigen Anweisungen geben konnte, hielt Zena ihn zurück. »Das ist bestimmt nicht nötig. Im Winter ist er sehr oft erkältet. Wenn er heißen Dampf inhaliert, geht’s ihm sicher bald wieder gut.«
Fünf Minuten später stand ein brodelnder Samowar auf dem Tisch. Zena setzte das Kind auf ihre Knie. In der feuchten heißen Luft verstummte das beängstigende Röcheln schon nach kurzer Zeit. Schließlich versank Bobby in unruhigem Schlaf. Alex legte ihn in sein Bettchen und ermahnte die Dienerin, ihn unverzüglich zu verständigen, falls neue Problem auftauchten.
Nachdem er mit Zena in sein Schlafabteil zurückgekehrt war, entschied er: »Bobby braucht einen Arzt. Sobald wir in Moskau ankommen, lassen wir ihn untersuchen.«
Sie nickte bedrückt. Ohne seine Hilfe wäre sie außerstande, die Dienste eines Arztes zu beanspruchen.
»Leg dich wieder hin – du siehst völlig erschöpft aus.« Sie gehorchte, und er setzte sich zu ihr. »Wenn du mir in meinem Urlaub Gesellschaft leistest, werde ich sehr gern für Bobby sorgen.«
Dieser unzweideutige Vorschlag nahm ihr fast den Atem. Aber sie hatte die Beleidigung zweifellos verdient.
»Komm schon, ma petite.« In seiner Selbstsucht fand er es überflüssig, eine subtilere Taktik anzuwenden. »Überleg doch, wie schnell
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